Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
vergessen«, schrie Thot.
»Du hast die Schrift vergessen«, zischte Meretseger.
»Du hast die Schrift vergessen«, tadelte Mentuhotep.
»Du hast die Schrift vergessen«, flüsterte Baketamun.
»Du hast die Schrift vergessen«, sagte die Mumie Kenherchepeschefs, als ihm ein Priester im Leopardenfell mit dem bronzenen Ritualmesser den Mund öffnete, damit er im ewigen Leben atmen konnte.
Rechmire schreckte schweißgebadet hoch. Das Blut dröhnte in seinem Schädel, als würde dort ein Schmied auf einen bronzenen Helm einschlagen, auf seiner fröstelnden Haut lag ein feiner Film aus salzigem Schweiß. Er schüttelte den Kopf und massierte mit der Rechten seinen Nacken, doch das Dröhnen in seinem Kopf wurde nur leiser, verstummte aber nicht. Er brauchte einige Zeit, um zu bemerken, dass die Schläge nicht mehr in seinem Schädel widerhallten, sondern von der Haustür kamen, gegen die jemand klopfte.
Mühsam erhob er sich von seinem Lager. Amuns Licht flutete bereits blendend hell durch die Stoffstreifen an den schmalen Fenstern herein, doch er fühlte sich so zerschlagen, als hätte er nur eine und nicht zehn Stunden geruht.
Rechmire wankte zur Tür und öffnete. Vor ihm stand eine junge, auffallend große und kräftige Frau, die ihm vage bekannt vorkam. Er rieb sich die Augen, dann erinnerte er sich wieder: Sie war die Sklavin, die er am Tag zuvor im Haus des Sennodjem getroffen hatte, die Sklavin des Pharaos.
Sie blickte ihn müde und gleichgültig an. Nichts verriet, ob sie überrascht war, ihn schweißgebadet und mit verwirrtem Haar zu erblicken.
»Ich wünsche dir ein langes Leben und Gesundheit. Mein Name ist Tamutnefret«, begrüßte sie ihn. »Ich bin hier, um dir die nächsten drei Tage zu dienen.«
Rechmire glotzte sie verständnislos an. »Du wirst mir drei Tage dienen?«, wiederholte er und merkte selbst, wie dumm das klang. Er deutete auf ihr Brandzeichen am Oberarm. »Du bist Eigentum des Pharaos.«
Die Sklavin lächelte matt. »Unser oberster Herr trägt Sorge, dass stets zwanzig seiner Dienerinnen am Ort der Wahrheit leben. Wir sind Teil des Lohns, den er seinen Arbeitern gewährt, wie er ihnen auch Leinen, Öl, Bier, Emmer und andere Besitztümer auszahlt. Eine Sklavin arbeitet jeweils drei Tage in einem Haus, dann wechselt sie reihum zum nächsten. Vorausgesetzt natürlich, dass ein Arbeiter oder seine Frau unsere Dienste nicht gegen einen Bronzemeißel oder einen Sack Emmer eintauschen. Wenn das vorkommt, dann arbeite ich auch schon einmal eine oder zwei Wochen im selben Haus. Dein Haus ist jetzt an der Reihe, also werde ich dir drei Tage lang dienen.«
Rechmire blickte sie noch immer verwundert an. »Ich wusste nicht, dass der Pharao einige seiner Sklaven, und mögen es auch die weniger wertvollen sein, an gewöhnliche Sterbliche« – er suchte nach dem richtigen Wort – »verleiht«, murmelte er.
»Die Diener am Ort der Wahrheit sind keine gewöhnlichen Sterblichen«, entgegnete Tamutnefret und blickte ihn spöttisch an. »Und der Pharao hat Sklaven, die weniger wertvoll sind als ich.«
Rechmire wurde rot, sagte aber nichts, sondern bedeutete ihr nur mit einer Geste einzutreten. »Was kannst du für mich tun?«, fragte er.
»Ich werde Brot für dich backen und dein Bier brauen. Ich werde dein Haus ausfegen und Flohkraut verbrennen. Ich werde deine Leinengewänder waschen. Und zuerst werde ich einen großen Krug kühlen Wassers für dich holen«, entgegnete sie.
Rechmire setzte ein gequältes Lächeln auf. »Du verstehst dein Handwerk«, sagte er matt.
»Ich bin schon drei Jahre hier«, antwortete sie mit einem Anflug von Stolz.
Er war auf dem Weg zurück zum Divan, doch dann blieb er abrupt stehen. »So lange schon?«, murmelte Rechmire. »Dann kennst du alle Familien am Ort der Wahrheit.«
»Ich habe schon allen gedient«, antwortete die Sklavin vorsichtig.
Rechmire lächelte sie an. »Dann wirst du mir noch viele andere Dienste erweisen können«, sagte er freundlich.
Tamutnefret blickte ihn mit ausdruckslosem Gesicht an.
»Welche sollen es sein, Herr?«, fragte sie. Ihre Stimme klang plötzlich sehr müde.
»Du wirst mir Fragen beantworten, die mir niemand sonst beantworten kann oder will«, antwortete er. »Fragen über das Dorf und seine Menschen. Und du kannst mir sicher auch den Weg zeigen, um von hier aus zum Tal der toten Pharaonen zu gelangen, in dem die Männer an Merenptahs Haus der Ewigkeit arbeiten.«
Eine Stunde später folgte er ihr auf dem Pfad, der sich
Weitere Kostenlose Bücher