Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
die Sonne legten. Aus vielen Innenhöfen stiegen dünne hellgraue Rauchsäulen von den Öfen auf und es duftete nach frisch gebackenem Brot, heißer Asche und brennendem Eselsdung, mit dem die Öfen geheizt wurden. Auf den Gassen vor manchen Häusern standen Sklavinnen vor hüfthohen Tonkrügen, in denen sie die Maische für das Bier kneteten. Kinder jagten laut lachend Katzen und Paviane durch die Gassen oder hatten sich auf dem staubigen Boden niedergelassen und mit Stöcken Spielbretter in den festgestampften Sand geritzt, auf denen sie weiße und gelbe Steinchen hin und her schoben.
Rechmire ging an ihnen vorbei und nahm alles nur wie durch einen Schleier wahr, als hätte Amun auch ihm jetzt einen Teil des Augenlichts geraubt. Er fragte sich, ob Kenherchepeschef tatsächlich an das Traumbuch des Chnumhotep gekommen sein mochte. Wo könnte er es gefunden haben? Wer hätte es ihm geben sollen? Zu welchem Preis? War es überhaupt das legendäre Buch? Warum hatte Hunero behauptet, dass ihr Mann nach der Lektüre enttäuscht zu sein schien? Und – hatte es etwas mit seiner Ermordung zu tun?
Andererseits wurde Rechmire den Verdacht nicht los, dass die junge Witwe seine Verehrung für das Traumbuch des Chnumhotep mitgehört und dann eine schnelle Geschichte improvisiert hatte, um ihn zu verwirren und auf eine falsche Spur zu lenken. Denn wenn Kenherchepeschef den Papyrus, der in der wertvollsten Kiste am auffälligsten Platz des Hauptraumes stand, am Abend vor seinem Tod tatsächlich mitgenommen hatte – hätte seine Frau dies nicht sofort bemerken müssen?
Rechmire versuchte, sich Kenherchepeschef vorzustellen: Ein Mann mit mächtigen Gönnern, weil er deren Häuser der Ewigkeit erbauen ließ und dabei Arbeiter abkommandierte, die eigentlich ausschließlich dem Pharao dienen sollten. Ein Mann ohne Freunde in seinem eigenen Dorf und mit einer jungen Frau, die ihn nicht liebte und die er auch nicht zu lieben schien. Er war verschlossen, herrschsüchtig und korrupt – nichts Ungewöhnliches für einen höheren Beamten irgendwo im Lande Kemet. Aber er schien wie kaum jemand, den Rechmire kannte, besessen zu sein von alten Schriften, vor allem von Papyri über Träume, vor denen er sich offensichtlich – das bewies auch der magische Spruch, den er mit letzter Kraft umklammert hielt – mehr fürchtete als vor dem Tod. Könnte so ein Mann das geheimnisvollste Buch der Welt gefunden haben? Und was würde er damit tun?
Als er in sein Haus trat, bemerkte Rechmire sofort, dass in seiner Abwesenheit wieder jemand dort gewesen war. Aber diesmal hatte ihm niemand eine neue Mahlzeit gebracht. Von der Tür bis zum Divan im Hauptraum lag eine Spur aus zwölf Tonsplittern auf dem Boden. Er brauchte nur ein paar Augenblicke, um sie aufzusammeln und wieder zu einer kleinen Tafel zusammenzusetzen. Jemand hatte mit schwarzer Tinte und Schreibbinse einen kurzen Text verfasst. Die Zeichen waren hastig hingemalt worden, doch Rechmire sah trotzdem, dass sie von einem geübten Schreiber stammen mussten. Laut las er:
»Meretseger wird deine Gebeine in der Wüste verstreuen, weil du ihr Schweigen störst.«
7. BUCHROLLE
M ERENPTAHS H AUS DER E WIGKEIT
Jahr 6 des Merenptah, Achet, 8. Tag des Paophi, Tal der toten Pharaonen, Set-Maat
Rechmire träumte von Meretseger, der Göttin mit dem Kobrakörper. Sie schlängelte sich über ihn und zog sich immer enger um seine Brust, bis er glaubte zu ersticken. »Ich liebe die Stille«, lispelte ihm die Schlange zu, bevor sie plötzlich in einer gelben Rauchwolke verschwand, die nach Myrrhe und Safran roch. Dann träumte er von riesigen Hieroglyphen, groß wie die Pylone am Totentempel des Ramses: Ein Ibis auf der Standarte, das Zeichen für den Gott Thot, beugte sich hinab zu ihm, um ihm mit seinem gekrümmten Schnabel das linke Auge auszuhacken. Er sah Ru, den lauernden Löwen, Ir, das Auge, und Ra, den Mund. Er sah die heilige Barke, zwei Schilfblätter, eine Hornviper, eine hölzerne Säule und einen Nilbarsch. Über allem brannte eine Sonne, um die sich die Uräus-Schlange wand, eines der hundert Zeichen für den Gott Re. Dann trat Ptah auf ihn zu und entrollte einen leeren Papyrus, so groß wie das Segel eines Meeresschiffes. Plötzlich hatte Rechmire eine Schreibbinse in der Hand und eine Palette an seiner Seite. Er sollte den riesigen Papyrus beschreiben, doch ihm waren auf einmal alle Zeichen entfallen.
»Du hast die Schrift vergessen«, donnerte Ptah.
»Du hast die Schrift
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