Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
schon Erster Schreiber gewesen war und nur mit solchen Privataufträgen das immense Vermögen zusammenraffen konnte, das notwendig war, um diese Papyrussammlung zusammenzutragen. Jahre später heiratete die junge Frau den Mann, der für den Tod ihres Vaters zumindest mitverantwortlich gewesen war. Und jetzt war sie Witwe. Ein Zufall?
»Meine Mutter, meine Schwester und ich konnten in Set-Maat in unserem Haus bleiben«, erklärte Hunero, als hätte sie seine Gedanken lesen können. »An diesem Ort dürfen eigentlich nur die Familien der Arbeiter leben. Stirbt ein Arbeiter und kann kein Sohn seinen Platz einnehmen, dann müssen seine Verwandten von hier verschwinden, um einem neuen Arbeiter und seiner Familie Platz zu machen. Doch Kenherchepeschef machte für uns eine Ausnahme.«
»Vielleicht hast du ihm damals schon so sehr gefallen, dass er sicher war, dich einmal heiraten zu wollen«, meinte Rechmire.
»Das glaube ich nicht«, sagte Hunero bestimmt und in ihrer Stimme schien eine Spur Verachtung mitzuschwingen, die Rechmire verwirrte. Die junge Frau verhielt sich überhaupt nicht so, wie er es erwartet hatte. Sie schien nicht nur keine Trauer zu kennen, sie schien auf ihren verstorbenen Gatten nicht einmal stolz oder ihm wenigstens dankbar zu sein. Als Tochter einer Arbeiterwitwe galt sie nicht viel im Lande Kemet. Sie hätte Wäscherin oder Gerberin werden und einen Lastenträger oder Seemann heiraten können, vielleicht wäre sie gar von ihrer verarmten Mutter als Sklavin oder in ein Freudenhaus verkauft worden. Stattdessen hatte der reichste und mächtigste Mann des Dorfes sie zu sich geholt, doch sie schien darüber nicht übermäßig glücklich zu sein. Rechmire, der all seine Hoffnungen und Energien darauf gerichtet hatte, Schreiber zu werden, konnte es nicht fassen, wenn andere Menschen Schreibern keine besonders große Ehrfurcht entgegenbrachten.
»Was wollte Kenherchepeschef in jener«, er zögerte kurz, »Unglücksnacht im Haus der Ewigkeit des Pharaos?«
»Nimm bitte Platz«, entgegnete Hunero und deutete auf einen massiven hölzernen Stuhl, bevor sie sich selbst auf den Divan setzte. Rechmire schien es so, als habe sie mit dieser kleinen Geste der Höflichkeit Zeit gewinnen wollen. Doch als sie ihm ihr Gesicht jetzt wieder zuwandte, kam sie ihm zum ersten Mal traurig und verloren vor.
»Ich wusste nicht, dass mein Mann in dieser Nacht das Haus der Ewigkeit unseres obersten Herrn besucht hat«, antwortete die junge Witwe. »Und nur die Götter mögen wissen, was er dort gesucht hat.«
»Die Götter – und derjenige, der Kenherchepeschef in das westliche Reich geschickt hat«, bemerkte Rechmire kühl. »Ich glaube, dass dein Mann und sein Mörder sich nicht zufällig ausgerechnet dort getroffen haben.«
»Was weißt du schon von Kenherchepeschef?«, fragte Hunero mit bitterer Stimme. »Niemand am Ort der Wahrheit wusste wirklich, was unser Erster Schreiber tat, wen er traf, zu welchen Göttern er betete und wie seine nächsten Pläne aussahen.«
»Du warst immerhin seine Frau«, sagte der junge Schreiber.
Sie schluckte. »Er hat mich geheiratet, nicht ich ihn«, erwiderte sie spitz. »Er hat sich – die Götter wissen warum – irgendwann für mich entschieden und mich zur Frau genommen, obwohl wir uns so gut wie gar nicht kannten. Oder vielleicht gerade deswegen.«
Hunero senkte den Kopf und sprach mit leiser Stimme weiter. »Er war oft fort. Ich meine damit nicht nur, dass er, wie die anderen Männer des Dorfes, die Tage der Arbeitswoche nicht im Haus, sondern in den Hütten oberhalb des Tals verbrachte, in der Nähe des Hauses der Ewigkeit. Auch an anderen Tagen war er weg. Meist verschwand er für einige Zeit nach Theben, doch ich weiß
nicht, was er dort gesucht oder wen er dort getroffen hat. Und manchmal war er auch nachts für Stunden fort und kam erst wieder, kurz bevor Amuns goldener Wagen den Himmel erleuchtete.«
»In jener Nacht kehrte er gar nicht wieder. Fandest du das nicht«, Rechmire zögerte, »seltsam?«
Sie blickte ihn aufmerksam an, bis er sich verlegen auf seinem Stuhl wand, bevor sie antwortete. »Ich habe tief geschlafen, wie immer. Ich wusste nie, wann er zurückkommt. Ich wachte morgens auf und er lag auf seinem Lager. Nur nach jener Nacht nicht. Doch ich habe gedacht, dass das, was ihn fortgelockt haben mag, ihn diesmal länger aufgehalten hatte, und mir keine weiteren Gedanken darüber gemacht. Erst als ein Arbeiter an meine Tür klopfte und mir sagte, dass sie
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