Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
Kenherchepeschef«, sie zögerte kurz, »gefunden haben, erfuhr ich, dass etwas Schlimmes passiert war.«
Rechmire sah die junge Witwe an. Sie hatte einen geschmeidigen Körper, eine schmale Hüfte und lange Beine, feine Hände, kleine, feste Brüste, ein wohl geformtes Gesicht, dunkle Augen und eine aufregende Stimme. Wenn Kenherchepeschef nachts irgendwo verschwunden war, dann nur, um etwas zu tun, das verboten war – was immer es gewesen sein mochte. Was würde er, Rechmire, nach nächtlichen Abenteuern tun, wenn eine solche Gemahlin in seinem Haus auf ihn wartete? Er würde sich zu ihr legen und sie wachküssen oder vielleicht auch einfach nur in den Arm nehmen, um ihre Nähe zu spüren, den Duft ihrer Haut zu atmen. Auf jeden Fall würde sie jede Nacht wissen, dass er wieder da war. Doch Kenherchepeschef schien sich scheinbar damit zufrieden gegeben zu haben, sich auf seinem eigenen Lager auszustrecken. Er begann sich zu fragen, warum der Erste Schreiber überhaupt geheiratet hatte, wenn ihm offensichtlich nicht sehr viel an seiner jungen Frau gelegen hatte.
Dann kam Rechmire ein neuer Verdacht: Hunero war die junge, vernachlässigte Gemahlin eines wohlhabenden älteren Mannes. Wie hätten ihre nächsten Jahre, die Jahre ihrer Jugend ausgesehen? Sie wäre an der Seite eines geheimnisvollen, kalten und immer hinfälliger werdenden Gemahls selbst verwelkt. So aber hatte sie plötzlich das Vermögen ihres Gatten geerbt und wäre frei für einen neuen Mann. Aus der armen fünfzehnjährigen Arbeitertochter war binnen vier Monaten die reiche fünfzehnjährige Schreiberwitwe geworden, die überall im Lande Kemet einen neuen Anfang wagen konnte.
»Wirst du den Ort der Wahrheit verlassen?«, fragte er und bemühte sich, seiner Stimme einen möglichst beiläufigen Klang zu geben.
Hunero lachte kurz und bitter auf. »Ich will nicht, aber ich muss. Dafür wird schon unser kleiner Pharao sorgen!«
Rechmire sah sie erstaunt und mit einem Anflug von Empörung an. »Wer ist unser kleiner Pharao?«, wollte er wissen. Es klang blasphemisch.
Die junge Witwe lächelte ihn beschwichtigend an. Sie schien sich über seine Erregung lustig zu machen. »Beruhige dich: Niemand hier spottet über den Pharao, im Gegenteil. Wir sind doch diejenigen, die sein Haus der Ewigkeit herrichten. Keiner seiner Untertanen in Beiden Reichen verehrt den Pharao so wie wir. Unser kleiner Pharao ist nur ein Spottname für Sennodjem, den viele ihm hier gegeben haben.«
»Eine seltsame Bezeichnung für den Zweiten Schreiber in einem kleinen Dorf«, bemerkte Rechmire, noch immer etwas beleidigt.
Hunero lachte hell. »Er hat sich den Namen irgendwann eingefangen, weil seine Familie aus Memphis stammt, was er jedem von uns ungefähr schon hundertmal erzählt hat. Und weil er so ehrgeizig ist, dass er sich für etwas Besseres hält, obwohl all seine Vorfahren nur Steineklopfer waren. Er ist der Erste, der es bis zum Schreiber gebracht hat – und schon ist er arrogant geworden wie alle Schreiber.« Sie blickte ihm offen ins Gesicht.
Rechmire wurde rot und wechselte das Thema. »Du glaubst also, dass Sennodjem dich wegschicken wird?«
»Mich und meine Mutter, ja. Denn wir haben keine Männer mehr, die hier arbeiten. Wir sind überflüssig geworden. Ich bin in Set-Maat geboren und, so seltsam das für einen ehrgeizigen jungen Schreiber aus Theben auch klingen mag, ich liebe diesen Ort. Ich liebe die rauen Felsen, die in der Hitze knacken, ich liebe die heißen Winde aus der westlichen Wüste. Ich liebe die Ruhe, die klare Luft und den ungetrübten Blick in den nächtlichen Sternenhimmel. Ich liebe es, auf einen Berg zu steigen und den Horizont in der flimmernden Hitze zu sehen, das Ende der Welt. Meretseger ist unsere Herrin, die Göttin, die das Schweigen liebt – ich glaube, sie hat mir viel von dieser ganz besonderen Liebe vermacht. Auch ich liebe das Schweigen. Und ich denke, dass es im Lande Kemet, dass es in der ganzen Welt keinen schöneren Platz zum Leben gibt als den Ort der Wahrheit.«
Rechmire starrte sie an, verwundert und berührt von diesem Ausbruch von Stolz und Verzweiflung. »Du könntest einen anderen Arbeiter heiraten, dann könnte dich nicht einmal Sennodjem fortschicken«, schlug er vor und bemerkte selbst, wie hilflos das klang.
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Wenn ich noch einmal heiraten werde, dann diesmal nur einen Mann, den ich liebe. Im Dorf leben manche Männer mit einem guten Charakter und manche, deren
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