Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
Vom Netzwerk:
Leopardenfell die Zeremonie der Mundöffnung vollzog.
    In der nächsten Halle erblickte Rechmire die ersten Männer bei der Arbeit. Der Raum war mit Reliefs ausgekleidet, die Sprüche aus dem Totenbuch illustrierten. Diese uralte Sammlung von Weisheiten, die demjenigen helfen sollten, der in den Westen eingegangen war, wurde fast jeder Mumie im Lande Kemet mitgegeben. Selbst die Lastenträger am Hafen von Theben oder die Ledergerber, die außerhalb der Stadtmauern hausen mussten, sparten einige Deben Kupfer an, um sich rechtzeitig eine Papyrusrolle mit dem Totenbuch kaufen zu können. Rechmire verdiente sich – wie viele andere junge Schreiber aus mittellosen Familien – etwas nebenher, indem er abends und an seinen freien Tagen das Totenbuch abschrieb und an seine Nachbarn verkaufte. Inzwischen konnte er den Text fast auswendig.
    In der Halle beobachtete er Maler, die im Licht von drei Dutzend flackernder Öllampen die fertig herausgemeißelten Reliefs mit kräftigen Farben schmückten: Gelb und Rot aus Ockerpulver, Weiß aus gemahlenem Kalk, Schwarz aus zerstampfter Holzkohle und jenes majestätische, magisch strahlende Blau, dessen Zusammensetzung ein Geheimnis war, das nur wenige Künstler des Pharaos kannten und das nur vom Vater auf den Sohn weitervererbt wurde.
    Neben ihnen, auf einem anderen Gerüst, waren die Szenen noch nicht so deutlich zu erkennen. Rechmire sah große Skizzen aus roter und schwarzer Tinte, deren Linien zwei Männern angaben, wo sie mit Bronzesticheln und kleinen Hämmern ein Relief aus dem Putz herauszuschlagen hatten. Rechmire folgte Sennodjem noch einmal einen kurzen Gang, der tiefer in den Felsen hineinführte – dann stand er in der
Halle, in der man ruht,
einem Säulensaal von der Größe eines Palastes, der von Hunderten von Öllampen erhellt wurde. Hier würde dereinst die Mumie des Pharaos, eingebettet in mehrere prachtvolle Sarkophage aus Quarzit und Alabaster, für alle Zeiten schlafen. Doch von der Ruhe des Todes war in diesem Augenblick noch nichts zu spüren, denn fast alle Männer von Set-Maat schufteten hier.
    Am gegenüberliegenden Ende und zu beiden Seitenwänden waren zwei Dutzend kräftige Männer dabei, mit breiten Bronzemeißeln und schweren Holzklöppeln mehrere Nebenkammern aus dem Felsen zu schlagen. Ein feiner, bitter schmeckender Sandsteinstaub lag in der warmen, stickigen Luft. Das helle Klirren der Meißel dröhnte in der Halle, als würde man sich im Innern einer riesigen Glocke befinden. Die Träger knieten zwischen den Steinklopfern und schoben mit bloßen Händen das Geröll in ihre ledernen Eimer und Säcke, bevor sie sich wieder mit ihrer Last auf den langen Weg hinaus machten.
    Auf den roh zurechtgehauenen Wänden und den aus dem massiven Felsen herausgemeißelten Pfeilern erkannte Rechmire hastig aufgepinselte schwarze Hieroglyphen. Er las die Zeichen mehtet und resi, »Norden« und »Süden«. Ein Vorarbeiter stand an einer der Markierungen, legte einen langen Stab an und prüfte, ob die Wand in der Waagerechten und Senkrechten gerade war.
    »Es sind Richtungszeichen«, erklärte ihm Sennodjem mit erhobener Stimme über den Lärm hinweg. »Damit wir uns nicht irrtümlich in einem Bogen immer tiefer in den Felsen hineinarbeiten, nur weil vielleicht die Männer der einen Wache schneller Steine brechen als die der anderen.«
    Dem Zweiten Schreiber war es sichtlich unangenehm, mit seinem unerwünschten Besucher im Staub der Pfeilerhalle ausharren zu müssen.
    Rechmire ließ sich davon nicht stören und sah sich um. Er verachtete Arbeiter und den Schmutz, in dem sie ihren Lebensunterhalt verdienen mussten. Doch er musste sich widerwillig eingestehen, dass er die Männer am Ort der Wahrheit zu bewundern begann. An einer Seitenwand waren vier Arbeiter, die auf einem wackeligen Gerüst aus Palmstrünken standen, damit beschäftigt, mit kleinen hölzernen und bronzenen Spachteln Gips auf den Felsen aufzutragen, bis er glatt verputzt war. Sie klatschten mit geübten, beinahe geschmeidigen Bewegungen den feuchten Gips aus großen hölzernen Trögen direkt auf den Felsen und strichen ihn mit wenigen Handbewegungen zu einer ebenmäßigen, rund zwei Finger breiten Fläche auseinander, die fast sofort trocknete.
    Zwei Mannslängen neben ihnen stand ein anderes Gerüst, das fast bis zur Decke reichte. Hier war der Gipsputz bereits trocken. Ein feines Netz aus roten Linien überzog die Wand. Zwei Mann waren am Fuß des Gerüsts dabei, es zu erweitern. Sie spannten

Weitere Kostenlose Bücher