Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
anderen verputzten Wandfläche widmen könnte. Doch der junge Künstler hockte auf dem Gerüst und verstaute langsam und umständlich Ockertiegel, Wasserfläschchen, Binsen, Wollschnüre und andere Malutensilien in einem kleinen, sauber gefertigten hölzernen Kasten. Zu umständlich, wie Rechmire fand. Er war bald ziemlich sicher, dass der Zeichner seinerseits darauf wartete, dass Rechmire verschwände, bevor er vom Gerüst steigen wollte.
»Den Gefallen tue ich dir nicht«, flüsterte Rechmire und fühlte sich plötzlich wie ein Jäger, der, das Wurfholz schon in der erhobenen Hand, eine Ente im Papyrusdickicht erspäht hatte.
Parahotep trug sein glattes, schimmernd schwarzes Haar eine Spur zu lang; seine Gesichtszüge waren ebenmäßig, schön und auf unbestimmbare Art weich, sodass ihm noch etwas Kindliches anhaftete. Doch sein Körper war zwar schlank, aber offensichtlich ausgewachsen. Rechmire schätzte, dass der Zeichner ungefähr so alt war wie er.
Als der Meisterzeichner wieder in die Grabkammer trat, straffte sich Parahotep. Der Ältere rief ihm etwas zu, das Rechmire nicht verstand, doch er konnte sich schon denken, um was es ging: Der Meister wollte wissen, warum der Zeichner noch immer dort oben saß. Parahotep verneigte sich denn auch und kletterte vom Gerüst. In diesem Moment stand Rechmire vom Boden auf, deutete gegenüber dem Meisterzeichner ebenfalls eine Verbeugung an und bemühte sich, seiner Stimme einen möglichst autoritären Tonfall zu geben. »Ich muss Parahotep ein paar Fragen stellen. Es wird nicht lange dauern«, setzte er beschwichtigend hinzu.
Der ältere Zeichner warf Parahotep einen überraschten Blick zu, dann sah er Rechmire mit ausdruckslosem Gesicht an und schwieg für einen Augenblick. Schließlich zuckte er die Achseln. »Meinetwegen«, entgegnete er gleichgültig. »Parahotep arbeitet so schnell, dass er den Rückstand ohne Schwierigkeiten wieder aufholen wird.« Dann drehte er sich um und verließ grußlos die Grabkammer.
»Was willst du von mir?«, fragte Parahotep, der neben ihn getreten war – allerdings erst, nachdem der Vorzeichner verschwunden war. Seine Stimme klang melodiös wie die eines Tempelsängers. Rechmire sah auf seine Hände: Sie waren lang und feingliedrig – und mit roter Tinte bespritzt, die wie Blut aussah. Unwillkürlich fragte er sich, ob Parahotep trotz eines gewissen Zuges an Weichheit und Schwäche wohl mit einem Bronzedolch so heftig zustoßen mochte, dass er mit einem einzigen Stich einen kräftigen Mann wie Kenherchepeschef niederstrecken konnte.
»Der Tschati hat mir befohlen, den Mörder Kenherchepeschefs zu finden. Ich stelle also Nachforschungen an«, antwortete Rechmire absichtlich vage. »Du bist Arbeiter am Ort der Wahrheit, also hoffe ich, von dir vielleicht Dinge zu erfahren, die mir weiterhelfen könnten.«
»Ich bin kein Arbeiter«, entgegnete Parahotep und blickte ihn hochmütig an. »Ich bin ein Seschqedut, ein Zeichner, wie schon mein Vater, mein Großvater und mein Urgroßvater vor mir.«
»Deine Familie lebt schon so lange in Set-Maat?«, fragte Rechmire mit gespieltem Erstaunen. »Da müsstet ihr doch längst ein Haus der Ewigkeit haben. Warum legst du also für dich ein neues Grab an?«
Parahotep blieb vor Überraschung der Mund offen stehen, was seinem Gesicht einen dümmlichen Ausdruck gab. »Woher weißt du das?«, begann er, dann gewann er seine Selbstsicherheit wieder. »Gerade weil meine Familie altehrwürdig ist, muss ich mir ein neues Haus der Ewigkeit errichten. In unserem alten Grab liegen so viele Mumien, dass kein Platz mehr frei ist für die Nächsten von uns, die in den Westen gehen werden. Aber was hat das mit Kenherchepeschef zu tun?«
»Du mochtest den Ersten Schreiber nicht besonders«, antwortete Rechmire mit gespielter Freundlichkeit.
»Wer hat das behauptet?«, fuhr der Zeichner auf.
»Du bist ein echter Seschqedut«, fuhr Rechmire unbeirrt fort, »ein wahrer Künstler. Du willst deine Werke vollenden und dir von niemandem vorschreiben lassen, wann es für die Arbeit genug ist – nicht einmal von Kenherchepeschef.«
»Ich weiß nicht, was du meinst«, stammelte Parahotep.
»Der Erste Schreiber hatte nie Verständnis für deine Arbeit. Du fühltest dich beengt, ja geradezu gefesselt von ihm. Also hast du ihm gedroht.«
»Sehakek hat deinen Geist verwirrt«, rief der junge Zeichner so laut, dass sich einige Arbeiter kurz zu ihnen umdrehten, sich dann jedoch hastig wieder ihren Werken widmeten.
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