Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
»Ich habe Kenherchepeschef niemals gedroht. Ich«, er zögerte, »kannte ihn kaum«, fuhr er dann fort. »Nicht mehr jedenfalls, als man den Mann kennen muss, der der Erste Schreiber ist.«
»Hast du jemals an deinen freien Tagen hier im Grab gearbeitet?«, forschte Rechmire nach.
»Das ist verboten«, entgegnete Parahotep.
Rechmire lächelte. Parahotep hatte nicht »Nein« gesagt. Und außerdem war ihm aufgefallen, dass der junge Zeichner den gleichen Dämon erwähnte, vor dem sich Kenherchepeschef besonders gefürchtet zu haben schien. Es gab Hunderte von gefährlichen Dämonen – warum also hatte er ausgerechnet Sehakek angerufen? Er war sicher, dass ihm Parahotep nicht die Wahrheit gesagt hatte und dass der Zeichner mehr über Kenherchepeschef wusste, als er zugeben wollte. Doch Parahotep wirkte nicht besonders abgebrüht oder verschlagen, im Gegenteil. Es sollte, hoffte Rechmire, nicht allzu lange dauern, um hinter sein Geheimnis zu kommen. Und das wiederum würde ihn vielleicht zum Mörder Kenherchepeschefs führen. Wenn der nicht schon vor ihm stand.
»Du kannst dich jetzt wieder deiner Arbeit widmen«, sagte er laut und deutete eine Verbeugung an, die eher spöttisch als höflich wirkte. »Sollte ich noch weitere Fragen haben, weiß ich ja, wo ich dich finden kann.«
Damit drehte er sich um und verließ Merenptahs halb vollendete Grabkammer. Noch im Umdrehen hatte er bemerkt, dass Parahotep die Hände zu Fäusten geballt hatte und etwas murmelte. Es klang wie ein Fluch.
Das grelle Tageslicht blendete ihn, als er das Haus der Ewigkeit des Pharaos wieder verließ. Mit zusammengekniffenen Augen sah er sich im Tal um. Die Hitze lag wie eine unsichtbare, schwere Decke auf den hellen Felsen. Über der Geröllhalde vor dem Grab standen dünne gelbe Staubfahnen. Während sich Rechmire mit der Rechten die Augen beschattete und sich langsam umblickte, glaubte er, am Rande seines Gesichtsfeldes plötzlich geisterhafte Bewegungen in der Luft zu sehen, ein Flirren, das sich wie ein dünner Schleier für einen Augenblick vor einem dahinter liegenden Felsen entfaltete, um dann sofort wieder zu verschwinden, wenn er versuchte, es direkt anzustarren. Irritiert schüttelte er den Kopf und beschirmte die Augen mit beiden Händen, doch er konnte nichts mehr erkennen.
»Es sind die ruhelosen Ba-Seelen der vergessenen Toten, denen kein Nachfahre mehr opfert«, murmelte eine gutturale Stimme hinter ihm.
Rechmire fuhr herum. Aus einem Versteck unter einem überhängenden Felsen neben dem Eingang des Grabes waren Djehuti und zwei weitere Medjai aufgetaucht. Der große Nubier deutete mit seiner vernarbten Rechten in einer vagen Geste auf das Tal.
»Die Luft hier am Ort der Wahrheit ist voller Bas und Dämonen, selbst am helllichten Tage«, flüsterte er.
»Vielleicht flirrt die Luft hier nur vor Hitze wie nirgendwo sonst im Lande Kemet«, entgegnete Rechmire und bemühte sich dabei, seiner Stimme einen möglichst überlegenen, ein wenig gleichgültigen Tonfall zu geben.
Der alte Soldat lachte hart. »Das glaubst du nicht einmal selbst!«, rief er und seine beiden Männer grinsten unsicher. »Wenn das wirklich so ist, wie du glaubst, dann kannst du dich glücklich schätzen, Djehuti«, sagte Rechmire mit gespielter Freundlichkeit. »Dann sehen die Seelen der Toten und die Dämonen, dass du mit deinen Soldaten den Ort der Wahrheit mit wachen Augen und scharfen Schwertern bewachst. Zumindest am Tage«, setzte er süffisant hinzu.
Der große Nubier sah ihn böse an. »Du bist wahrlich ein Schreiber aus Theben, wie Thot dich schuf!«, rief er. »Du kennst die prächtige Stadt und deine Schriftrollen, aber du hast keine Ahnung von diesem Tal und seinen Toten. Geh doch selbst in der Nacht hinaus! Geh durch die Felsen, unter denen sich überall längst vergessene Gräber verstecken! Geh hinaus und störe die Ruhe der Pharaonen! Geh in die Nacht und erzürne die Göttin Meretseger, die auf ihrem Pyramidenberg thront und von dort auch in das finsterste Nebental blicken kann! Ich werde dich nicht aufhalten. Aber ich verspreche dir: Wenn du nachts durch diesen Ort gehst, dann werde ich deinen Körper am nächsten Tag finden, irgendwo an einem kargen Platz, verlassen von seinem Ka und seinem Ba. Ich werde ihn von einem Esel zum Ufer schleifen lassen und ihn den hungrigen Krokodilen auf den Sandbänken vor Theben zum Fraß vorwerfen.«
Dann drehte sich Djehuti um, bellte seinen beiden Soldaten einen kurzen Befehl zu und machte sich
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