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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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brachte ihn für immer zum Schweigen.
    Tausend Gedanken wirbelten durch Rechmires Kopf, sodass er nicht schlafen konnte, obwohl sich sein Körper zerschlagen anfühlte und seine Lider schwer waren. Er schätzte, dass Mitternacht schon vorbei war, als er sich schließlich aufschwang und ein kleines Talglicht entzündete. Vorsichtig schlich er durch das Zimmer. Kaaper und Tamutnefret schliefen in kleinen Nebenkammern und er wollte keinen der beiden aufwecken. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen kramte er in den Truhen des Priesters herum. Er war auf der Suche nach einem Papyrus und dabei war es ihm gleichgültig, welche Texte er dabei finden würde. Wahrscheinlich würde ein Vorlesepriester wie Kaaper irgendwo eine Sammlung mit Hymnen an Amun bei sich haben – lange, altehrwürdige und in komplizierten altertümlichen Stanzen verfasste Gottesgesänge, die so schwierig waren, dass er erst in seinem letzten Jahr im Haus des Wissens zuerst einzelne Strophen, dann ganze Lieder hatte abschreiben müssen. Er hatte nicht viel für diese Lobgesänge übrig, die ihm immer auf seltsame Weise zugleich kriecherisch und hochtrabend, viel zu pathetisch und doch der unendlichen Würde des Gottes nicht angemessen vorgekommen waren. Doch nun war er auf der Suche nach Texten, die ihn von seinen eigenen Gedanken ablenken und ihm so endlich Schlaf schenken würden. Und dafür wären die Hymnen an Amun ideal gewesen.
    Es dauerte lange, bis Rechmire endlich in einer unscheinbaren Kiste, halb verborgen unter einem Stapel alter Leinengewänder und Zeremonialgeräte aus Silber, einen kleinen Tonkrug fand, aus dem er einen alten, fleckigen Papyrus herauszog.
    Er musste sich beherrschen, um nicht einen überraschten Ausruf auszustoßen, der ihn verraten hätte. Denn im flackernden Licht der Talgfunzel erkannte er, dass quer über die noch zugeschnürte Rolle ein Satz geschrieben stand – ein Satz in einer Handschrift, die er inzwischen nur zu gut kannte:
    »Dieser Text gehört zum Haus der Buchrollen des Ersten Schreibers Kenherchepeschef. Wer diesen Papyrus stiehlt, den wird Thot mit einem Zeichen auf der Stirn brennen und Sechmet wird sein Herz zerreissen und Sehakek sein Ka für alle Zeiten mit bösen Träumen martern.«
    Rechmire fragte sich, wie Kaaper an einen Papyrus aus der Sammlung des Ersten Schreibers gekommen sein mochte, während er mit zitternden Händen den Text langsam entrollte.
    Als er den Titel endlich lesen konnte, saß er für lange Augenblicke wie versteinert auf der Liege, als hätte ihn der Fluch des toten Schreibers bereits getroffen. Sein Geist war leer. Irgendwann kam er wieder zu sich, obwohl er sich noch immer fühlte, als hätte sich ein fremder Dämon in seiner Seele eingenistet. Mit langsamen, übertrieben vorsichtigen Bewegungen rollte er den Papyrus wieder zusammen, steckte ihn in sein tönernes Gefäß und versteckte es sorgfältig in der Kiste.
    Dann schlich er sich auf die Dachterrasse, weil er nun wusste, dass er in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden würde. Rechmire blickte in den schwarzen Himmel, wo Tausende von Sternen strahlten wie feine Kristalle auf einem Pantherfell.
    Versteckt in einer alten Kiste des Vorlesepriesters Kaaper, den er bis zu diesem Moment für seinen einzigen Freund am Ort der Wahrheit gehalten hatte, lag der größte Schatz des toten Schreibers: das Traumbuch des Chnumhotep.

12. BUCHROLLE

D AS R ITUAL DES H OHEPRIESTERS U SERHET
    Jahr 6 des Merenptah, Achet, 14. Tag des Paophi, Großer Tempel des Amun von Karnak, Theben
    Rechmire war erleichtert, als er nach den acht Tagen in Set-Maat endlich wieder den Nil erblicken konnte. Der Berg Dehemet, der Thron der Meretseger, war am westlichen Horizont klein geworden wie eine Pfeilspitze, die im Wüstensand steckte. Das Tal der toten Pharaonen war irgendwo zwischen den gelblich schimmernden Felsen verborgen. Von Norden her wehte ein leichter, stetiger Wind, der Wind, der dem Nil vom Meer her entgegenblies und stromauf kroch bis zur Wüste Nubiens und die Hitze linderte.
    Die Menschen vom Ort der Wahrheit hatten sich am frühen Morgen vor dem Tempel Amuns versammelt, um der Zeremonie beizuwohnen, mit der Kaaper seinem Gott huldigte. Alle waren gekommen, selbst die Greise, die auf Binsenmatten getragen werden mussten, die verkrüppelten Arbeiter, denen Steine Fußgelenke oder Beine zerschmettert hatten und die sich auf schiefen Sykomorenstrünken abstützten, und sogar die kleinsten Kinder, die in wollenen Umhängen an der Brust

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