Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
der Mutter getragen wurden.
Morgen würde das Opet-Fest beginnen, das elftägige, das höchste Fest des Amun, seine alljährliche Verjüngung, die den Beiden Reichen Glück, Macht und Wohlstand garantierte. Elf Tage lang würde der Gott mit seiner Gemahlin Mut und seinem falkenköpfigen Sohn Chons Gast sein unter den Sterblichen, würden seine beiden Heiligtümer in Karnak und Luxor, würde das hunderttorige Theben zum Zentrum der Welt werden, denn der Pharao selbst würde seinem himmlischen Vater die Ehre erweisen. Tausende von Pilgern aus dem Lande Kemet strömten alljährlich zu diesem Ereignis nach Theben. Und auch die Einwohner vom Ort der Wahrheit würden ihr verstecktes Quartier verlassen, um sich in den scheinbar unendlichen Zug der Gläubigen einzureihen, um Amun zu ehren, um die Freuden Thebens zu genießen, um wenigstens einen Blick auf den göttergleichen Mann zu werfen, an dessen Grab sie schon seit Jahren arbeiten durften.
Alle hatten sich deshalb an diesem Morgen vor ihrem kleinen Tempel Amuns versammelt, um von dort aus gen Theben zu ziehen. Alle – außer Parahotep.
Rechmire war beim ersten grauen Schimmer am östlichen Horizont wieder von der Dachterrasse zu der Liege im Hauptraum geschlichen, um kein Aufsehen zu erregen. Zusammen mit Kaaper und Tamutnefret war er kurze Zeit später, nach einem hastigen Frühstück, zum Tempel gegangen. Verstohlen hatte er sich nach den Menschen umgeblickt, die ihn neugierig anstarrten. Natürlich hatte sich der Anschlag auf ihn längst herumgesprochen. Hunero hatte ihn angelächelt, als sie ihn erblickte; Djehuti hatte gar einen militärischen Gruß angedeutet und auch die anderen Bewohner schienen Rechmire nicht mehr so verschlossen, ja abweisend zu sein. Niemand schien enttäuscht zu sein, ihn noch unter den Lebenden zu sehen.
Kaaper hatte ihm als Einzigem erlaubt, mit ihm ins Innere des Tempels zu schreiten und ihm bei den Ritualen zu helfen – eine besondere Ehre, mit der der Priester vor allen Leuten zeigen wollte, dass Rechmire erwiesenermaßen die Gunst Amuns genoss, denn sonst hätte ihn Osiris längst zu sich geholt.
Doch Rechmire konnte das Traumbuch des Chnumhotep nicht vergessen, das er in Kaapers hölzerner Kiste entdeckt hatte. Er wollte sich nicht durch ein falsches Wort verraten, also war er ungewöhnlich einsilbig, solange der Priester in seiner Nähe war.
Erst als sie sich nach der Zeremonie zu einem langen Zug auf dem Pfad Richtung Theben formierten, fiel Rechmire auf, dass Parahotep fehlte. Er erblickte den Vorzeichner, beugte sich zu ihm und flüsterte ihm zu, ob er wisse, wo sein Arbeiter geblieben sei.
»Er sagte mir gestern, dass er die freien Tage nutzen will, um sein eigenes Haus der Ewigkeit zu vollenden«, brummte der Vorzeichner. »Amun allein mag wissen, was in Parahotep gefahren ist. Hat er Angst, dass er in den nächsten elf Tagen stirbt? Er ist doch erst einundzwanzig Jahre alt und kerngesund. Er kann sich zwanzig, dreißig, vielleicht, wenn ihm Osiris gnädig ist, sogar fünfzig Jahre Zeit damit lassen, sein Grab auszumalen.«
Rechmire tat so, als würde er diese Neuigkeit zwar verwundert, aber nicht weiter beunruhigt aufnehmen. Tatsächlich war er unruhig wie eine Hyäne, die eine Blutspur gewittert hatte. Welchen besseren Zeitpunkt könnte es geben als diesen, um unauffällig Schätze aus Merenptahs Grab – oder vielleicht gar aus denen älterer, längst vergessener Pharaonen – verschwinden zu lassen? Elf Tage lang lag das Tal der toten Pharaonen nur unter dem Schutz Meretsegers und der anderen Unsterblichen, was vielleicht nicht ausreichen mochte, um einen entschlossenen und kundigen Mann wie Parahotep von frevlerischen Taten abzuhalten. Und außerdem hatte es der Zeichner unter allen Umständen vermieden, ihm, Rechmire, nach dem Anschlag in die Augen sehen zu müssen.
Er überlegte kurz, ob er Schwäche nach dem Anschlag oder etwas anderes vorschützen sollte, um ebenfalls am Ort der Wahrheit bleiben und Parahotep auflauern zu können. Doch dann sagte er sich, dass dies so sehr auffallen würde, dass sich der Zeichner daraufhin garantiert keine Blöße geben würde. Und außerdem gab es da ja noch Baketamun. Rechmire sehnte sich danach, die Tochter des Hohepriesters endlich wieder in den Armen halten zu dürfen. Er vermisste den Duft ihres geschmeidigen Körpers, ihre erfahrenen Liebkosungen, den Klang ihrer melodischen und irgendwie provozierenden Stimme. Für elf Tage würde sich Theben während der Opet-Zeit in
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