Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
außer dem Mörder Kenherchepeschefs sollte auch mich umbringen wollen?«, fragte Rechmire.
Der Priester hob die beiden geöffneten Hände demutsvoll in Richtung Himmel. »Das weiß allein Amun. Ich gebe zu, dass zurzeit vor allem Sennodjem und Parahotep verdächtig sind. Du solltest trotzdem deinen Geist nicht jetzt schon verhärten, denn vielleicht musst du doch noch andernorts weiter suchen.«
Dann erhob sich Kaaper und deutete eine Verbeugung an. »Sei auch noch in dieser Nacht mein Gast, junger Schreiber. Ich werde noch zum Tempel des Amun gehen, um die abendlichen Riten zu vollziehen. Ich wünsche dir einen ruhigen Schlaf und erquickliche Träume.«
Rechmire ließ sich auf die Liege zurücksinken und dachte nach. Kaapers Worte hatten ihn verwirrt. Der Priester hatte Recht mit seiner Vermutung, dass der Anschlag mit den Skorpionen scheinbar weder zu Sennodjem noch zu Parahotep passte – und schon gar nicht zu der Art, wie Kenherchepeschef in das Reich des Westens geschickt worden war. Doch was wusste er schon wirklich über den Zweiten Schreiber und den Zeichner? Beide hatten auf jeden Fall etwas zu verbergen, das mit ziemlicher Sicherheit gegen die Gesetze des Pharaos, vielleicht gar gegen die Gebote der Götter verstieß. Wer von allen Plätzen im Lande Kemet ausgerechnet am Ort der Wahrheit einen Frevel begehen würde – wäre der nicht auch kaltblütig genug, um ebendort einen thebanischen Schreiber zum westlichen Horizont zu schicken?
Dann grübelte Rechmire über Kaapers schroffe Reaktion auf den unbekannten Königsnamen, der auf der Rückseite jener seltsamen, irgendwie bedrohlich klingenden Notiz Kenherchepeschefs stand. An wen mochte die Zeile »Ich weiß alles über dich« gerichtet gewesen sein? Was wusste Kenherchepeschef? Und war es bloßer Zufall, dass auf der anderen Seite des Steinsplitters jener ominöse Königsname stand, oder hatte es etwas damit zu tun? Und warum wollte Kaaper, der darin irgendetwas erkannt haben musste, nicht darüber reden?
Er schreckte hoch, als Tamutnefret plötzlich vor ihm stand.
»Ich muss eingeschlafen sein«, murmelte er.
Die Sklavin setzte ein Tablett mit frischem Brot, Granatäpfeln, gebratener Entenbrust und einem großen Krug Wasser vor ihm ab und verneigte sich stumm.
Doch als sie schon wieder an der Tür war, hielt sie inne, holte tief Luft und kam zurück. Sie verbeugte sich tief vor ihm und streckte die Hände in Kniehöhe vor. »Ich muss dir etwas gestehen«, flüsterte sie.
Rechmire sah sie erstaunt an. »Hab keine Angst«, antwortete er.
Tamutnefret sah sich um, als wolle sie sich noch einmal vergewissern, dass sie auch tatsächlich allein waren. »Ich habe vorhin an der Tür gelauscht«, sagte sie leise und hob dabei den Blick nicht vom Boden. »Ich habe nicht alles verstanden von dem, was du mit dem Priester beredet hast. Aber ich weiß, dass es dabei auch um« – die Sklavin zögerte – »Sennodjem ging«, vollendete sie schließlich.
Rechmire dachte, dass es besser sei, Tamutnefret jetzt keine Vorwürfe wegen ihrer unerlaubten Neugier zu machen. »Der Zweite Schreiber hat sich verdächtig gemacht«, entgegnete er kühl.
»Weil er in der Nacht von Kenherchepeschefs Tod gar nicht im Tempel des Amun war?«, fragte die Sklavin.
Rechmire nickte und verzichtete auf eine Antwort.
»Er hat die Nacht mit mir verbracht«, gestand Tamutnefret leise.
Er fuhr hoch und starrte sie mit aufgerissenen Augen an.
»Du hast dein Lager mit Sennodjem geteilt?«, rief er überrascht.
Sie bat ihn mit einer flehentlichen Geste, leiser zu sprechen. »Ich bin schon seit fast einem Jahr seine Geliebte«, flüsterte sie. »Wir treffen uns regelmäßig an den arbeitsfreien Tagen. Dann sind nämlich die Hütten, in denen die Männer während der Woche übernachten, verlassen und unbewacht. In jener Nacht waren wir auch dort.«
In Rechmire tobten widersprüchliche Gefühle. Auf der einen Seite fühlte er so etwas wie Enttäuschung, dass sich Sennodjems falsche Geschichte auf so banale Weise aufklären ließe, andererseits amüsierte ihn die Vorstellung des kleinen, dicklichen, vorzeitig gealterten Zweiten Schreibers in den Armen einer jungen Sklavin, die so kräftig war wie ein Soldat in der Armee des Pharaos.
»Ausgerechnet Sennodjem!«, sagte er schließlich. »Ausgerechnet der Zweite Schreiber, der so tut, als sei er korrekter und gewissenhafter als des Pharaos oberster Magazinverwalter! Ausgerechnet er hält sich eine Sklavin des Pharaos als heimliche
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