Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
rannte die Wand weiter ab, immer auf der Suche nach einem Durchgang. Endlich fand er eine Pforte, deren Tür aus bronzebeschlagenem schwarzen Ebenholz weit offen stand. Rechmire glaubte nicht, dass Baketamun und die anderen Sängerinnen durch diesen Weg den Säulensaal verlassen hatten, doch da es der einzige Ausgang war, den er finden konnte, schlüpfte er hindurch.
Rechmire gelangte auf einen großen, säulenumstandenen Innenhof, der den Blick auf den abendlichen Himmel freigab. Der westliche Horizont leuchtete rot, als würde die Wüste jenseits des Nils in Brand stehen, während sich der Osten langsam vom Blau ins Schwarze färbte. Er schlich sich vorsichtig weiter und gelangte in einen weiteren, allerdings etwas kleineren Innenhof und von dort in einen dritten, der deutlich größer war als die anderen.
Endlich wusste Rechmire, wo er sich befand. Die gegenüberliegende Seite des Hofes wurde von einem riesigen Pylon eingenommen – ein massiges Prozessionstor, größer als eine Festung am Ersten Katarakt, das Pharao Haremhab vor rund einem Jahrhundert erbaut hatte. Es war so hoch, dass seine zinnenbekrönte Spitze die Tempelmauern weit überragte, weshalb er es wieder erkannte. Die Höfe und der Pylon bildeten eine Nebenachse des Tempels von Karnak, die nach Süden wies auf eine Allee widderköpfiger Sphingen, die das Heiligtum des Amun mit dem Tempel seiner göttlichen Gemahlin Mut verband.
Hier würde er Baketamun niemals finden. Er wollte sich schon wieder abwenden, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm und sich instinktiv in den Schatten einer Säule warf.
Userhet stand plötzlich am anderen Ende des Innenhofes.
Rechmire hielt vor Angst den Atem an, bis er sicher war, dass ihn der Hohepriester nicht entdeckt hatte. Er fragte sich, wo Userhet auf einmal hergekommen war – und warum er überhaupt hier und nicht im Allerheiligsten war. Dann sah er, dass der wuchtige Pylon offensichtlich nicht massiv gebaut war, sondern im Innern geheime Gänge enthalten musste, denn nun erkannte er im roten Abendlicht eine Steinplatte mit einem Relief zweier gefesselter Libyer, die wie eine Tür aufgeschwungen war und aus der der Hohepriester getreten sein musste.
Userhet hielt zwei silberne Opferschalen in der Hand. Aus der einen stieg eine dünne graue Weihrauchfahne, die andere schien roten Wein oder Blut zu enthalten. Er stellte die Schalen sorgfältig auf dem Boden ab, zog eine andere, kleinere Reliefplatte heraus, hinter der sich eine kleine Nische verbarg, und deponierte die beiden Opferschalen anschließend dort. Dann schloss er die beiden geheimen Öffnungen, sah sich misstrauisch um und machte sich dann hastig auf den Weg in Richtung Allerheiligstes.
Rechmire sprang erschrocken auf und hastete los, um vor dem Hohepriester in die Säulenhalle zu kommen. Er fürchtete, dass die Geräusche seiner Sandalen ihn verraten könnten, doch ihm blieb keine andere Wahl, als im Laufschritt den Weg zurückzulegen, den er gekommen war. Er schaffte es gerade noch vor Userhet, durch die geöffnete Tür zu schlüpfen und sich hinter einer der großen Säulen zu verbergen. Dort wartete Rechmire, bis er sicher sein konnte, dass sich der Hohepriester Richtung Allerheiligstes gewandt hatte, erst dann schlich er sich zu seinem Versteck hinter der Kolossalstatue Ramses des Zweiten zurück.
Nach einiger Zeit erschien Userhet wieder in dem goldenen Tor. Die Priester drückten ihre Gesichter erneut auf den Boden und warteten, bis er, gemessenen Schrittes rückwärts gehend, die Säulenhalle durchmessen hatte. Dann folgten sie ihm, die Ältesten zuerst; nur zwei halbwüchsige Diener Amuns blieben noch ein paar Augenblicke zurück, holten aus einer versteckten Nische Reisigbesen hervor und kehrten die Halle aus, damit nicht einmal ein Staubkorn die Ruhe des Gottes zu stören vermochte. Zuletzt löschten sie die Lichter bis auf drei Alabasterlampen, deren schwächlicher Schein kleine gelbe Lichtinseln in der Säulenhalle bildete, die ansonsten jetzt dunkel und still war wie ein riesiges Grab.
Rechmire war allein.
Ihm war unheimlich zumute, sein Atem ging schnell, Druck lastete wie eine unsichtbare Faust auf seiner Brust. Er spürte, dass seine Anwesenheit vielleicht den Menschen, nicht aber Amun verborgen geblieben war und dass er die Ruhe des Gottes störte. Er betete leise und flehte den Himmelsherrscher an, ihm nicht zu zürnen. Zugleich fragte er sich nervös, wo Kaaper nur blieb und wie er ihn hier unerkannt herausholen
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