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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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schnell voranging.
    Kaaper führte ihn außen um das Allerheiligste herum, das ebenfalls mit farbigen Reliefs verziert war, Bildern, welche die Taten Amuns priesen. Von weitem leuchtete die goldene Spitze des größten Obelisken im Lande Kemet, den Thutmosis der Dritte einst hatte aufstellen lassen, in der Abendsonne wie eine Flamme, die auf einer himmelstürmenden Granitsäule loderte. Auch auf den beiden Obelisken der Pharaonin Hatschepsut, die fast genauso groß waren, glänzten Spitzen aus Elektron, doch Rechmire wusste, dass die magische Kraft dieser beiden Steinnadeln zerstört worden war. Ihr Stiefsohn und Nachfolger Thutmosis der Dritte hatte die Obelisken der ihm verhassten Herrscherin in einem gewaltigen Pylon einmauern lassen. Und später hatte Der-dessen-Namen-niemand-nennt es gar gewagt, den Namen Amuns aus den schmalen Seitenreliefs der Obelisken auszuhacken. Als dann die alte Frömmigkeit wieder im Lande Kemet herrschte, hatten Künstler den Obelisken erklommen und Amuns Namen wieder eingemeißelt, doch die neuen Hieroglyphen lagen viel tiefer im Stein als die des Originaltextes, der nun für allezeit durch hässliche Narben entstellt war.
    Kaaper öffnete eine versteckte steinerne Pforte, sie schlüpften hindurch – und standen plötzlich in einem Wald aus Säulen. Rechmire hielt vor Überraschung die Luft an. Es waren mit reichen, farbigen Reliefs verzierte steinerne Nachbildungen von Papyrusstauden. Es mussten, schätzte er, über einhundert Säulen sein, jede hatte an ihrem Schaft einen Durchmesser von zwei Mannslängen. Überall hingen Öllampen aus Alabaster an silbernen Ketten, in deren flackerndem, weichen Licht die Bildnisse der Götter und Pharaonen lebendig zu sein schienen. Rechmire entdeckte hoch über seinem Kopf die Umrisse von farbigen Architraven, doch es war zu dunkel, um das Dach zu sehen, sodass es auf ihn wirkte, als trügen die Säulen den Nachthimmel selbst.
    Hunderte von kleinen Schalen aus blau glasiertem Ton standen auf bronzenen Dreibeinen. Aus jeder stieg eine dünne Rauchsäule auf, weil in ihnen Weihrauch glomm, sodass es in der riesigen Halle betäubend duftete.
    In der Mitte, zwischen den mächtigsten Säulen, hatten sich rund zweihundert Priester versammelt. Im Schein einiger Fackeln glänzten ihre Körper und kahl geschorenen Köpfe vor Öl; alle trugen sie nur einen Schurz aus Pantherfell und golddurchwirkte Sandalen. Sie standen vor einer doppelt mannshohen Amphore aus Silber, in die zwei junge Diener Amuns gerade vorsichtig heiliges Wasser aus dem Nil gossen, das in großen irdenen Krügen aufbewahrt worden war. Es war vollkommen still in der riesigen Säulenhalle – bis plötzlich ein leises Tröpfeln vernehmbar war. Einen Augenblick später traten zwanzig junge Frauen in goldbestickten, reich drapierten Gewändern aus dem Schatten einer Säule heraus und stimmten einen Hymnus auf Amun an.
    »Die Wasseruhr zeigt uns die Stunden der Nacht an und verrät uns so, durch welche Pforte der Unterwelt Amun gerade schreitet«, flüsterte Kaaper. »Der Priester Amenemhet hat sie vor über hundertfünfzig Jahren erfunden: Ein Gefäß mit einer winzigen Öffnung im Boden, durch die das Wasser sehr langsam abfließt; der sinkende Wasserstand verrät uns die nächtliche Stunde. Pharao Amenophis der Dritte war damals so beeindruckt von dieser Erfindung, dass er Amenemhet nicht nur mit zwei Deben Gold beschenkte, sondern ihm sogar erlaubte, seine Füße zu küssen.«
    Doch Rechmire hatte kein Ohr mehr für die Erklärungen des Priesters. Er hatte Baketamun entdeckt.
    Sie war eine der Sängerinnen des Amun. Seine Hände krallten sich in den Stein einer Säule, während er ihren geschmeidigen Körper mit sehnsuchtsvollen Blicken aufsog. Baketamun hatte sich die Augenlider mit Malachit grün geschminkt und die Wimpern mit schwarzer Tusche bis zum Haaransatz an ihren Schläfen nachzeichnen lassen. Sie trug eine Perücke, deren lange, zu Tausenden von dünnen Zöpfen geflochtene dunkle Pracht über ihre Schultern und ihren schmalen Rücken hinabfloss.
    Rechmire wusste, dass die Tochter des Hohepriesters oft über ihren Dienst im Tempel, über die anderen Sängerinnen und die abergläubischen Priester gespottet hatte, doch nun sang sie mit geschlossenen Augen so hingebungsvoll, als habe sie ihr ganzes Leben dem Sonnengott geweiht. Rechmire konnte ihre feine und zugleich kräftige Stimme aus dem Chor der anderen heraushören und er stöhnte vor Sehnsucht nach ihr. Sein Verstand sagte

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