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Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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ruhmvollen Weg beeinträchtigen.
    Die leichte Strömung erfasste das Boot, und die Anspannung der vergangenen Wochen fiel von ihm ab. Er fragte sich, ob Otto überhaupt wusste, worauf er sich einließ. Zählte er selbst zu den Verschwörern, oder war er verhext worden? So, wie er Igraine Raab herzte und drückte, hatte es den Anschein, als würde er ihr nahestehen. Ihm schoss durch den Kopf, dass die Kinder dieser beiden Vierteljuden sein würden. Die Behauptung, dass die Semiteneigenschaften durch Paarung mit übergeordneten Rassen abgemildert werden könnten, war grundlegend falsch. Die zunehmende Bastardisierung barg unschätzbare Risiken, weil Viertel-, Halb- und Dreivierteljuden durch den Erbteil der besseren Rasse das deutsche Volk noch geschmeidiger unterwandern konnten. Es liefen schon so viele Mischlinge herum, dass irgendwann eine generelle »Lösung der Judenfrage« angestrebt werden musste. Diese Forderung wurde schon seit Jahren vehement erhoben.
    Die anhaltende Bedrohung für sein Volk stimmte ihn traurig, aber nun würden andere an seine Stelle rücken, um die Entscheidungsschlacht zu schlagen. Er hatte tapfer gekämpft und durfte sich nun eines Platzes in Walhall sicher sein.
    Als er ringsum ein anschwellendes Flüstern, Wispern und Raunen vernahm, wusste er sofort, dass sie es waren. Sie waren gekommen, um einen letzten verzweifelten Versuch zu unternehmen, ihn zu holen.
    Schnell setzte er sich auf die Ducht, griff nach den Riemen und ruderte weit auf die Havel raus. Die Kriminalpolizei hatte verhindert, dass er Isaac Wolfssohn tötete. Otto hatte vereitelt, dass er eine Walküre, die gar keine war, und einen Verräter, der sich als Opfer entpuppt hatte, mit auf die Reise nahm. Er würde den Weg auch ohne sie finden, weil er sich Odins Wohlwollen gewiss sein konnte. An der Spitze des Bootes pendelte die abgesägte Hand von Wilhelm Maharero vor und zurück, als hätte der afrikanische Prinz seinen Dienst bereits aufgenommen und würde ihm, seinem Herrn, die Richtung weisen.
    An den Ufern erschienen immer mehr Fackeln. Im Flammenschein konnte er sehen, wie die dunklen Gestalten an die Wasserkante traten. Sie trugen Kippas, Schläfenlocken und Gebetsriemen. Sie rauften sich die Haare und führten Veitstänze auf. Einige Männer wetzten die Schächtermesser und knurrten wie wilde Tiere.
    »Ihr bekommt mich nicht«, schrie er und merkte, wie ihm ein heiliger Schauer den Rücken runterrieselte. »Ich bin euch entkommen.«
    Mitten auf dem schwarzen Strom ließ er die Riemen los. Er griff nach der ersten Flasche Petroleum und schüttete sie über sein kostbares Hab und Gut, das ihn nach Walhall begleiten sollte. Zahllose Bücher, die ihm die Augen geöffnet hatten, waren darunter. Fotografien von seinen großen Idolen. Seine beiden hölzernen Götzen. Handgeschriebene Briefe seines Mentors Bernhard Förster, der vor vielen Jahren sein Deutschlehrer auf dem Friedrichsgymnasium gewesen war und ihm diesen heldenhaften Weg geebnet hatte. Und natürlich die Opfergaben: zwei Hunde und zwei Habichte.
    Er erinnerte sich noch genau an den Tag, als sein Mentor in trauter Runde zu ihm und anderen gesagt hatte, dass die Zeit der großen Reden vorbei sei, dass jetzt die Zeit der Taten folgen müsse. Er hatte gehandelt, wie sein Lehrer es verlangt hatte. Er war »praktisch an die Sache« herangegangen und hatte sein großes Vorbild sicher sehr stolz gemacht. Bald würde er an Odins Tafel wieder mit ihm vereint sein.
    Er nahm die zweite Flasche Petroleum und leerte sie über seinem Kopf aus. Eines Tages würden alle Arier begreifen, welchen einsamen Kampf er gefochten hatte und zu welchem Opfer er bereit gewesen war. Dann würden sie seine Taten besingen und mit Fackelzügen seines Kreuzzugs gedenken. Er wäre ein deutscher Held, ein Siegfried, der niemals in Vergessenheit geraten würde.
    Als er gerade die Packung mit den Schwefelhölzern aus der Tasche ziehen wollte, durchdrangen ihre Köpfe die Wasseroberfläche. Sie hielten sich an der Bordwand fest und griffen nach ihm. »Nein«, schrie er. »Nein, das darf nicht sein! Verschwindet!« Er packte die Brechstange und schlug ihnen auf die Arme. Er sprang zum Heck, in den Bug, nach links und nach rechts, aber es wurden immer mehr. Und so verzweifelt er sich auch wehrte, brachten sie das völlig überladene Boot so stark zum Schaukeln, dass es sich schließlich auf die Seite legte. Kopfüber kippte er in die Havel und tauchte unter. Er rang nach Luft, aber das

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