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Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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also lebte er noch.
    Als die Schritte auf den Holzplanken lauter wurden, begriff Igraine, dass sie ihre Chance vertan hatte. Der Kerl befand sich bereits auf dem Rückweg. Er würde sie gleich erreichen, und sie würde ihm ausgeliefert sein. Sie wollte nicht sterben, sie wollte noch lange leben und Tausende von Zeichnungen anfertigen!
    Sie überlegte, ob sie einfach loskriechen sollte, aber sie wäre eine zu leichte Beute, die er schnell eingefangen hätte. Vielleicht sollte sie sich bewusstlos stellen und einen günstigen Augenblick abwarten, um sich zur Wehr zu setzen? Sie schloss auch kurz die Augen, aber die Neugier war stärker. Sie musste wissen, wer ihr das angetan hatte.
    Sie drehte den Kopf zum Bootsanleger und konnte es kaum fassen. Als sich das Gesicht des Mannes im Flammenschein abzeichnete, zweifelte sie an ihrem Sehvermögen. Das konnte nicht sein, es musste sich um eine optische Täuschung handeln.
    Sie kannte den Mann, und sie vertraute ihm.
    Schwemmland
    Otto schlich auf das Lagerfeuer zu und achtete darauf, nicht auf Äste zu treten, die ihn durch ein Knacken verraten könnten. Das Wasser tropfte aus seinen Haaren, und an seinen nackten Knien klebte der Flusssand. Als er nur noch fünfzig Meter von dem Pferdegespann entfernt war, stellte er sich hinter einen Apfelbaum, um die Lage auszukundschaften.
    Igraine lehnte mit dem Rücken gegen einen Feldstein und schaute angsterfüllt zu einem Mann, der vor ihr stand und ein Messer aus dem Lederfutteral an seinem Gürtel zog. Was hatte er vor? Wollte er ihr die Fußfesseln durchtrennen, damit sie selbstständig zum Boot gehen konnte, oder wollte er ihr etwas antun?
    Otto begriff, dass er nicht länger zögern durfte. Impulsiv entschied er sich für einen Überraschungsangriff und drückte sich vom Baumstamm ab. Schnell legte er an Geschwindigkeit zu, und seine Füße trafen auf kleine Steine, Maulwurfshügel und rutschiges Fallobst. Er nahm sich vor, den Mann durch einen Sprung in den Rücken zu überwältigen. Nur noch vierzig Meter, noch dreißig … Otto spannte schon seine Muskeln an, als er in vollem Lauf in ein Bodenloch trat.
    Der Mann drehte den Kopf nach hinten und erfasste sofort die Situation. Geistesgegenwärtig trat er hinter Igraine und setzte ihr die Klinge an die Kehle. »Keinen Schritt näher«, sagte er. »Sonst stirbt sie.«
    Endlich konnte Otto das Gesicht des Mannes erkennen. Das war nicht Wachtmeister Holle. Das war ein unauffälliger Mann, der es geschafft hatte, nie in den Fokus der Ermittlungen zu geraten. Und trotzdem war Otto instinktiv klar, dass hier der Ritualmörder vor ihm stand. Es hatte genügend Verdachtsmomente gegeben, nur hatte niemand auf sie geachtet.
    Walter Leiser, der Hausmeister der Malschule, blickte ihm aus starren Eulenaugen entgegen, die ein beredtes Zeugnis über seinen Seelenzustand ablegten. Otto erinnerte sich an das Strammstehen, an die militärisch anmutenden Begrüßungen. Durch sein formelles Verhalten hatte Leiser den Eindruck erweckt, ein obrigkeitstreuer Bürger zu sein. Hinter der Fassade hatte er seine wahnsinnigen Pläne geschmiedet. Jetzt fiel Otto ein, dass ein Augenzeuge einen Verdächtigen in einem militärisch anmutenden Gewand gesehen hatte, und diese graue Hausmeisteruniform passte auf die Beschreibung. Außerdem war es Walter Leiser gewesen, der ihm bei ihrer ersten Begegnung berichtet hatte, dass sich Igraine auf dem Gut Neukladow aufhalten würde.
    Wahrscheinlich hatte sie Vertrauen zu dem Mann gefasst und ihm voller Arglosigkeit etwas aus ihrem Leben erzählt. Vermutlich hatte sie ihm auch berichtet, dass sie auf dem idyllischen Landsitz einen einwöchigen Urlaub verbringen würde. Alles fügte sich zusammen.
    Otto sah den flehentlichen Ausdruck in Igraines Gesicht, er sah das Zittern ihrer Unterlippe. Sie stand Todesängste aus, und dieser Umstand machte ihn zornig. Er spürte, wie das Blut in seinen Schläfen pochte. Wenn dieser Kerl ihr etwas antat, wenn er ihr auch nur ein Haar krümmte, dann … dann …
    Otto ballte seine Hände zu Fäusten, aber dann zwang er sich unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft, die Finger wieder lang zu strecken. Igraines Leben lag in seinen Händen. Er würde sie nur retten können, wenn er seine Beobachtungsgabe und seine Erfahrungen als Nervenarzt einsetzte. Dazu musste er klar bei Verstand sein.
    Otto nickte Igraine zu. In der bewusstlosen Gestalt am Boden hatte er Professor von Trittin erkannt, aber der Wissenschaftler war zumindest an der

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