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Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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Richtung Kladow.
    »Glückwünsche nehme ich später entgegen«, sagte Otto und erntete von Moses nur einen feindseligen Blick.
    Nun befanden sie sich auf einem sogenannten Vorwindkurs. Wegen des Halseproblems segelte Otto mal hierhin, mal dorthin, mal etwas zurück, dann wieder voraus. Ihr Ziel verlor er dabei nie aus den Augen, und eine halbe Stunde später hatte er sich dem Bootsanleger vom Gut Neukladow so weit genähert, dass er das Großsegel einholte, das Ballastschwert hochkurbelte und das Boot zu einer seichten Uferstelle treiben ließ, wo er den Chester-Anker mit einer schwungvollen Armbewegung über Bord warf. Dann krempelte er die Hosenbeine hoch, zog die Schuhe aus und watete durch das Schilf an Land. Moses folgte ihm.
    Otto setzte sich auf einen Baumstumpf und band sich die Schuhe zu. »Ich finde, dass wir uns für das erste Mal wacker geschlagen haben«, sagte er. »Lass uns jetzt Igraine suchen.«
    »Ich bleib hier«, sagte Moses.
    »Ist was?«, fragte Otto.
    »Was soll schon sein?«, erwiderte sein Leibdiener sarkastisch, sah ihn feindselig an und stapfte an der Wasserkante entlang, vorbei an den Weidenbäumen mit den hängenden Ästen, vorbei an dem schaukelnden Schilf, hin zum Bootsanleger.
    Otto sah ihm überrascht nach und zuckte mit den Achseln. Sicher war die ganze Aufregung zu viel für ihn, dachte er. Ein Mann wie Professor von Trittin dürfte gar nicht an einer Hochschule unterrichten. Eigentlich müsste er sofort aus dem Lehrbetrieb entfernt werden. Na, wenigstens werden wir ihm nächsten Sonntag einen Denkzettel verpassen.
    Otto machte sich auf den Weg über das Schwemmland, auf dem zahlreiche Obstbäume standen. Seitdem er Igraines Zeichnungen gesehen hatte, hatte er sich mehrfach gefragt, ob sich ihr Wesen ebenso stark verändert hatte wie ihre Motive. Wie würde sie wohl reagieren, wenn er ihr nach so vielen Jahren plötzlich gegenüberstand?
    Otto lief durch eine Wolke von Stechmücken, die sich wogend auf und ab bewegte. Während er sich mit den Armen eine Schneise schlug, kletterte er die Steigung hoch und blickte dann auf das gelbe Herrenhaus, das rote Dachziegel und weiße Fensterläden hatte. Es war vor knapp hundert Jahren von Anastasius Ludwig Mencken, dem Großvater des späteren Reichskanzlers Bismarck, errichtet worden und lag zwischen den Dörfern Kladow und Gatow auf einer Düne.
    Zwischen Grünflächen mit Maulwurfshügeln ging Otto auf das Gebäude zu. Rechts von ihm waren Robinien, Ahorne und Eichen gepflanzt worden, deren Kronen sich im Wind wiegten. Gerade als er sich entschlossen hatte, zunächst am Haupteingang auf der Westseite sein Glück zu versuchen, schob sich eine zierliche Gestalt in sein Blickfeld, die schwarz gekleidet war und einen Eimer trug, aus dem Unkraut ragte.
    »Igraine!«, sagte Otto und musste bei ihrem Anblick sofort an ein mystisches Wesen, vielleicht eine Fee oder eine Seherin des alten Volkes, denken. Sie hatte glatte schwarze Haare, welche die Blässe ihres Gesichts noch betonten. Ihre hellgrauen Augen blickten mit einem traurigen Ernst drein. Die schmale Nase wies einige Sommersprossen auf. Ihr Mund war ungewöhnlich rot und verlieh ihrer ätherischen Erscheinung etwas herausfordernd Sinnliches, das sicherlich das Begehren vieler Männer weckte.
    »Otto«, sagte sie und ließ vor Erstaunen den Eimer fallen. »Du bist dick geworden.«
    Der zog sogleich seinen Bauch ein und sagte: »Findest du? Das muss wohl mit dem Training zusammenhängen, das ich jahrelang betrieben habe. Muskeln tragen nämlich auf!«
    »Nicht am Bauch«, stellte Igraine fest. »Aber natürlich weiß ich, dass du Rennen gefahren bist. Ich habe deinen Werdegang verfolgt. Nach dem Studium hast du als Arzt in der Psychiatrie der Charité gearbeitet. Später bist du durch Deutsch-Südwestafrika gereist. Seit deiner Rückkehr hast du mehrere Bücher zu kriminologischen Themen verfasst und unterstützt die Kriminalpolizei als Berater. Ich habe alle deine Publikationen gelesen und mich oft gefragt, was einen Mann wie dich dazu gebracht hat, sich mit Kriminellen zu befassen.«
    »Nicht die Kriminellen interessieren mich, sondern ihre Überführung«, erwiderte Otto. »Den Worten eines Verbrechers kann man nur selten glauben, aber ihre Leiber lügen nie. Wenn ich ihren Gesichtsausdruck beobachte, wenn ich dem Tonfall ihrer Stimme lausche, dann offenbaren sie mir ihre dunkelsten Geheimnisse, ob sie wollen oder nicht.«
    »Aha!«, sagte Igraine.
    »Was hast du in der Zwischenzeit so

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