Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
Reaktion des Professors war hochinteressant. Anstatt Ottos Hand zu ergreifen, legte er den Arm eng an den Körper, winkelte den Unterarm ab und streckte seinerseits die Hand aus. Wollte Otto einen Körperkontakt herbeiführen, musste er einen Schritt auf Trittin zugehen, was er auch tat. Dadurch kam er ihm nicht nur in räumlicher Hinsicht entgegen, sondern gestand dem Wissenschaftler auch die Entscheidung über den Ablauf der Begrüßung zu. Nachdem er den Kontakt hergestellt hatte, griff der Professor sofort fest zu und kippte Ottos Hand zur Seite und nach unten, sodass er im wahrsten Sinne des Wortes »die Oberhand« gewann. Trittin hatte innerhalb weniger Sekunden zweimal die Rangordnung festgelegt.
»Wenn Sie sich angemeldet hätten«, sagte der Professor, »hätte ich mir die Arbeit anders eingeteilt.«
»Es geht nicht ums Segeln«, erwiderte Otto. »Es geht um den Mord an Salomon Hirsch, von dem Sie sicher gehört haben. Es haben sich einige Fragen ergeben, die Sie betreffen.«
»Wie konnte ich nur vergessen, dass Sie Kriminologe sind? Ich finde es nur verwunderlich, dass die Polizei nicht selbst erscheint, sondern eine Hilfskraft schickt.«
»Commissarius Funke, der ermittelnde Beamte, hat mich ausdrücklich befugt –«, setzte Otto zu einer Erklärung an, aber kam nicht weit.
»Ja, ja«, unterbrach ihn Professor von Trittin. »Nun kommen Sie mal nicht ins Palavern, mein Bester. Bei einem so ernsten Thema will ich die Behörden natürlich unterstützen. Folgen Sie mir, aber fassen Sie sich kurz. Ich gebe Ihnen fünf Minuten Zeit, keine Sekunde länger.«
Otto ging dem Wissenschaftler hinterher und machte eine weitere interessante Entdeckung. Auf einem Messingschild neben der Bürotür waren nicht nur die akademischen Titel aufgeführt, sondern auch der Adelstitel und sämtliche Vornamen. Um »Prof. Dr. Dr. Emil Fürchtegott Jochen Meinhard Theobald Siegmar Dankmar Hagen Leopold Ritter von Trittin« zu lesen, brauchte man eine Weile. Darunter war noch die Position eingraviert. Allerdings ließ er dieses Mal alle Zusätze weg und beschränkte sich auf ein universelles »Direktor«, was natürlich den Anschein erweckte, dass er dem gesamten Museum als erster Mann vorstand.
Otto betrat ein Büro, das sich in jeglicher Hinsicht von der Sachlichkeit des Völkerkundemuseums unterschied. Die prunkvollen Sitzmöbel waren im Stile des Louis-seize gehalten und mit noblem Mohairplüsch bezogen worden, welches einen besonderen Glanz verbreitete. Die Vertikotüren bestanden aus Glas, sodass man einen guten Blick auf blitzende Segelpokale und wertvolle Originalausgaben von Goethe hatte. An der Stirnwand hing ein bombastisches Porträt von Trittin, das zentral zwischen dem kleineren Konterfei von Richard Wagner und dem noch kleineren Abbild von Arthur de Gobineau angebracht war. Nur ein einziges Detail passte nicht in den Raum. Eines der Fenster war mit Steinpappe verdunkelt worden, ein anderes rechteckiges Steinpappestück lehnte an der Wand. Es hatte exakt die Größe des anderen Fensters und war wohl abgenommen worden, um Tageslicht einfallen zu lassen. Möglicherweise litt der Professor unter Migräneanfällen und brauchte dann absolute Dunkelheit. Möglicherweise hatte die Steinpappe aber auch einen anderen Zweck.
»Nehmen Sie Platz«, sagte Trittin und zeigte auf einen Fauteuil. Er machte einige Schritte in die Tiefe des Raumes, stieg zwei Stufen empor und setzte sich – unter sein eigenes Porträt – hinter den wuchtigen Schreibtisch, der auf einem Podest stand, das ungefähr einen halben Meter hoch war.
Otto ließ sich in dem Fauteuil nieder und versank sogleich in dem weichen Polster. Seine Schultern wurden zwischen die Armlehnen gezwängt, und seine Knie befanden sich plötzlich auf Brusthöhe. Er saß sehr unbequem da.
»Die Zeit. Denken Sie an die Zeit. Nur noch vier Minuten«, sagte Trittin. Er thronte einen guten Meter über Otto und sah in doppelter Ausführung auf ihn herab.
Otto dachte, dass sich so ein Erstklässler fühlen musste, der sich vor seinem Lehrer verantworten musste. Und er vermutete, dass diese Wirkung beabsichtigt war. »Jemand muss das Zigarrenetui von Wilhelm Maharero in den Affenkäfig gelegt haben«, sagte er, »um den Verdacht auf ihn zu lenken.«
»Von welchem Zigarrenetui reden Sie?«, fragte der Professor schmunzelnd.
»Bei dem getöteten Salomon Hirsch wurde ein Zigarrenetui gefunden, das Wilhelm Maharero gehört und das er selbst nicht in den Affenkäfig
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