Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
hast?«
»Wenn ich ehrlich bin, sind mir unsere Vorteile erst gestern eingefallen. Die Zusage zur Regatta war eher ein spontaner Akt.«
»So kenne ich dich«, erwiderte Moses.
»Dann lass uns jetzt nach Hause segeln.«
»Ich kann dich absetzen«, sagte Moses. »Aber ich möchte noch auf dem Wasser bleiben, um einige Manöver auszuprobieren.«
»Auch gut«, sagte Otto und zog sich bis auf die Unterwäsche aus.
»Was hast du vor?«, fragte Moses.
»Du musst mich nicht absetzen, ich schwimme nach Hause. Heute Abend brauchst du auch nicht auf mich zu warten. Ich habe etwas in der Stadt zu erledigen und werde bei meinen Eltern schlafen. Morgen früh kommt gegen acht Uhr ein erfahrener Segler, den ich engagiert habe, um dir einige Kniffe beizubringen. Morgen Nachmittag segeln wir wieder zusammen. Also dann.«
»Was hast du in der Stadt vor?«, fragte Moses. »Wirst du Fräulein Raab treffen?«
»Das willst du wohl wissen, was? Das kann jetzt etwas wackelig werden, also halt dich fest«, erwiderte Otto und hechtete in den Wannsee. Prustend tauchte er wieder auf und kraulte in Richtung des Bootsanlegers. Das Wasser fühlte sich an seinem Leib angenehm kühl an. Er liebte dieses Element, in dem man das eigene Körpergewicht kaum spürte. Jahrelang war er geschwommen, um zum Radfahren einen Ausgleichssport zu haben. Und auch wenn er das Zweiradtraining aufgegeben hatte, hatte er am morgendlichen Bad festgehalten.
Heute Abend wollte er eine Veranstaltung besuchen, die in einem berüchtigten Antisemitenlokal stattfinden würde. Ein Autor würde aus seinem Buch über die Ritualmordlegende vortragen, und die gesamte Berliner Antisemitenprominenz würde anwesend sein. Otto wollte vor Ort einiges über ihre Organisation und die Verwicklung von Professor von Trittin in Erfahrung bringen.
Leichenschauhaus
Als der Commissarius auf das neue Leichenschauhaus mit den gelben Verblendziegeln in der Hannoverschen Straße zuging, spürte er eine leichte Nervosität in sich aufsteigen und rief sich zur Ordnung. Er war nicht wegen dem flotten Dr. Gessken hier, sondern wegen zwei brutalen Morden. Die Ermittlung würde seine ganze Konzentration erfordern, wenn er sie schnell und erfolgreich abschließen wollte. Er durfte sich nicht von Träumereien ablenken lassen.
Funke begab sich zum östlichen Flügel, der im Erdgeschoss neben dem Obduktionssaal und den Zeugenzimmern auch zwei Arbeitszimmer für die Gerichtsärzte und ein chemisches Laboratorium enthielt. Als er gerade die Tür öffnen wollte, kam ihm der Gerichtsarzt entgegen, der eine Unbekümmertheit ausstrahlte, die bei einem Mann seines Alters selten war.
»Ah, Monsieur Funke, quel plaisir« , sagte Dr. Gessken. »Ich konnte nicht länger warten, ich musste raus an die frische Luft. Wollen Sie mich ein Stück begleiten? Ich bin auf dem Weg zum Café Josty, um ein Stück Erdbeertorte zu essen. Ach, warum leisten Sie mir nicht Gesellschaft und wir besprechen dabei die neuesten Erkenntnisse?«
Das Café Josty befand sich in der Bellevuestraße 21/22, am Potsdamer Platz, und galt als Künstler- und Literatentreff, in dem Persönlichkeiten wie Adolph Menzel verkehrten. »Normalerweise mit Vergnügen«, erwiderte der Commissarius, »aber zurzeit bin ich nicht abkömmlich. Am besten begleite ich Sie ein Stück, und Sie berichten mir unterwegs, was Sie herausgefunden haben.«
»Das verstehe ich sehr gut«, sagte Dr. Gessken. »Dann will ich Sie auch nicht länger als nötig aufhalten. Bei der Obduktion ist mir sofort die dunkle Färbung des Blutes aufgefallen, außerdem Stauungshyperämien in den herausgeschnittenen Lungenflügeln. Wenn ich den Befund in einfachen Worten ausdrücken wollte, so würde ich sagen: Der Bankier Frankfurter ist erstickt.«
»Erstickt, sagen Sie? Woran?«, fragte der Commissarius, während sie in die Luisenstraße abbogen und die Königliche Charité passierten.
»Eine berechtigte Frage, die mir auch einiges Kopfzerbrechen bereitet hat, weil die übrigen Befunde allesamt negativ waren. Glücklicherweise konnte ich bei einer zweiten gründlichen Beschauung in der Mundhöhle ein winziges Bröselstück finden, das wahrscheinlich von einem Schwamm stammt, wie er auch bei Operationen verwendet wird.«
»Sie meinen, dass seine Wunden auf eine Operation zurückzuführen sind?«
»Jetzt haben Sie mich missverstanden. Ich meinte nur, dass er betäubt wurde, und zwar wie vor einem chirurgischen Eingriff. Wahrscheinlich, um seine Gegenwehr zu
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