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Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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Augenzeugen Sorge zu. »Wo waren wir doch gleich stehen geblieben? Ach ja. Trug der Mann eine Uniform wie mein Kollege gerade?«
    »Ja«, erwiderte Herr Sorge. »Genau so sah sie aus.«
    »Das ist ja interessant. Oder trug er eher ein Reserveoffizierskleid? Oder die Joppe eines Jägers, zusammengehalten durch ein Koppel? Oder war es eher die Uniform eines Museumspförtners oder Zoowärters?«
    »Sie haben ja recht. Das ist nicht so leicht zu unterscheiden. Ausschließen kann ich das nicht.«
    »Welche Farbe hatte die Uniform?«
    »Die Sonne war schon hinter den Häusern untergegangen. Deshalb konnte ich sie nicht genau erkennen. Ich würde sagen, dass der Ton ins Dunkle ging. Dunkelgrün, Dunkelblau, Dunkelrot, Dunkelbraun oder Dunkelgrau. Aber der Schnitt war militärisch, da bin ich mir sicher. Sagen Sie, könnte ich vielleicht auch einen Schnaps bekommen? Der Heimweg ist lang, und eine kleine Stärkung würde nicht schaden.«
    Zuerst wollte der Commissarius leugnen, dass er in seinem Dienstbureau geistige Getränke zu sich nahm, aber sowohl sein Atem als auch die Restflüssigkeit in dem Glas rochen verräterisch. »Normalerweise trinke ich nicht im Dienst«, sagte er, »aber ein geschätzter Kollege hatte heute sein zwanzigjähriges Amtsjubiläum und … Na ja, Sie wissen ja, wie das ist.«
    »Selbstverständlich«, sagte Herr Sorge, ohne eine Miene zu verziehen.
    Der Commissarius sah den Zeugen ein letztes Mal prüfend an und holte schließlich die Flasche aus der Schublade. Er stellte ein zweites Glas auf den Schreibtisch und schenkte Herrn Sorge ein. »Sagen Sie stopp, Verehrtester, wenn es Ihnen reicht.«
    Als das Glas so voll war, dass es beinahe überlief, sah Herr Sorge auf und sagte: »Stopp – meinen verbindlichsten Dank.«
    Während der Commissarius sich selbst nachschenkte, dachte er, dass sie in einem Land lebten, in dem beinahe jedermann eine Uniform trug oder sie zumindest im Schrank hängen hatte. Obwohl die Aussage den Täterkreis nicht wesentlich eingrenzte, konnte sie noch ein wichtiger Mosaikstein werden. Ja, allmählich kam er dem Mörder auf die Schliche. Er musste jetzt nur bei Verstand bleiben und durfte sich weder durch den Erpresserbrief noch durch den aparten Dr. Gessken aus der Spur bringen lassen.
    »Aufs Vaterland, Herr Sorge!«, sagte Funke und hob das Glas an.
    Potsdamer Bahnhof
    Nachdem Otto gegen sieben Uhr abends den Potsdamer Bahnhof verlassen hatte, spazierte er Richtung Norden und bog in die Leipziger Straße ab. In seiner Hand hielt er eine Zeitung, in der er mit Entsetzen von dem zweiten Mord gelesen hatte. Der Journalist hatte wenige Informationen aufgebauscht und vermutete den Täter in antisemitischen Kreisen. Die Radikalen würden nun jeden Fremden misstrauisch beäugen und überall Polizeispitzel vermuten, die ihnen etwas anhängen wollten. In dieser aufgeheizten Atmosphäre würde er sehr vorsichtig sein müssen.
    Nachdem Otto in die Friedrichstraße abgebogen war, wich er einigen Italienern aus, die gestenreich miteinander diskutierten, ob sie sich in ein preußisches Bierlokal wagen sollten. Außerdem musste er um einen Messerschärfer herumgehen, der seinen Schleifblock mitten auf dem Trottoir aufgebaut hatte und von der Küchenhilfe einer nahe liegenden Restauration Hack- und Schneideinstrumente entgegennahm.
    Otto zählte Professor von Trittin zu den möglichen Tätern. Wenn ihm der Nachweis gelingen sollte, dass der Wissenschaftler auch mit dem zweiten Opfer bekannt war, würde sich der Verdacht gegen ihn erhärten, und dann würde er Commissarius Funke noch heute Nacht aufsuchen.
    Das »Bayreuther Eck« war eine rein antisemitische Restauration, in der sich Judengegner aus dem ganzen Reich trafen. Als Otto an den in Blei gefassten Buntglasfenstern vorbeiging, hörte er schon die heiseren Männerstimmen, die aufgeregt durcheinanderschrien. An der dunkel gebeizten Eingangstür war ein Schild angebracht, auf dem stand: »Für Juden Zutritt verboten«. Drinnen schlug ihm ein Dunst nach saurem Schweiß, vergossenem Bier und Zigarrenqualm entgegen. Zahlreiche Augenpaare richteten sich auf ihn und unterzogen ihn einer strengen Musterung. Auf einem Tisch lagen antisemitische Blätter wie der »Reichsbote«, die »Staatsbürgerzeitung« und die sehr konservative »Kreuzzeitung« aus.
    Während sich Otto durch die Gäste schob, fiel ihm auf, dass sich die Anwesenden durch Uniformen, Burschenschaftsschärpen und Orden Geltung verschafften. Sogar ein Tropenoffizier mit

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