Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
abrupt, noch hielt sie länger an, als es der Situation angemessen war. Die Begrüßung war offen und ehrlich und brachte Wiedersehensfreude zum Ausdruck, ohne dass ihr die Überschwänglichkeit der letzten Begegnung innewohnte. Otto entschloss sich, ihn als den »natürlichen Handschlag« in sein Buchprojekt aufzunehmen.
»Du kennst Professor von Trittin?«, fragte er.
»Wir sind zusammen aufs Friedrichsgymnasium gegangen«, erwiderte Daniele Vicente. »Am Montag hat mich meine Vermieterin wegen einer Frauengeschichte vor die Tür gesetzt. Seitdem wohne ich bei ihm in Westend.«
»Wenn ich jetzt bitte erfahren dürfte, was dieser unangemeldete Besuch zu bedeuten hat«, sagte Professor von Trittin. »In zehn Minuten beginnt meine Vorlesung.«
»Es geht ganz schnell«, mischte sich Commissarius Funke ein und legitimierte sich kurz. »Wo waren Sie in der Nacht vom zweiten auf den dritten Juni? Und wo waren Sie in der Nacht vom neunten auf den zehnten Juni?«
»Hat Ihr Hilfspolizist Ihnen das nicht ausgerichtet?«, fragte Professor von Trittin und lächelte maliziös. »Ich habe ihm schon gesagt, dass ich in der Nacht vom zweiten auf den dritten Juni mutterseelenallein zu Hause war und geschlafen habe. Vorgestern Nacht habe ich mit meinem alten Schulfreund Schach gespielt. Ist es nicht so, Daniele?«
Der schlug den Blick nieder. Eine auffällige Reaktion, die viel Interpretationsspielraum ließ.
»War es so?«, hakte Otto nach.
Der frühere Großwildjäger hob den Kopf an. »Wir waren die ganze Nacht zusammen und haben Schach gespielt. Das würde ich auch vor Gericht beschwören.«
»Sehen Sie«, sagte Professor von Trittin. »Da haben Sie Ihr Alibi, aber eine Sache würde mich noch interessieren. Wie sind Sie überhaupt darauf gekommen, mich zu verdächtigen?«
»Ihre antisemitische Vergangenheit«, erwiderte der Commissarius. »Hinzu kommt, dass Sie beide Opfer persönlich kannten und den Bankier Frankfurter in der Silvesternacht 80/81 bedrohten.«
»Ich bitte Sie, mein Herren!«, erwiderte Professor von Trittin. »Ich bin garantiert nicht der Einzige, der die beiden Juden kannte. Nehmen Sie nur mal Daniele hier. Er hat bei den Studentenunternehmungen ebenfalls mitgemischt, und den Zeitungsmann Hirsch kannte er von der Berliner Gewerbeausstellung.«
»Das stimmt«, bestätigte Daniele Vicente.
»Oder nehmen Sie die Künstlerin Igraine Raab«, fuhr Professor von Trittin fort. »Bei der Kolonial-Ausstellung hat sie Zeichnungen von den Hereros angefertigt. Dabei hat sie die beiden Juden kennengelernt. Hirsch war ja verheiratet, aber der alte Frankfurter hat sich gleich kräftig an sie rangeschmissen. Er hat sogar Zeichnungen gekauft. Ich möchte mal wissen, wofür diese sogenannte Künstlerin das Geld eigentlich bekommen hat. Wenn Sie jetzt keine weiteren Fragen haben, möchte ich mich verabschieden.«
Otto war aufgefallen, dass sich Trittin schon zum zweiten Mal abfällig über Igraine geäußert hatte. Jetzt war er beinahe sicher, dass er eine Abfuhr erhalten hatte und aus verletztem Stolz so beleidigende Reden führte. »Ich soll Ihnen übrigens schöne Grüße ausrichten«, sagte Otto. »Von Ihrem alten Freund, Major a. D. Schmitz.«
»Daher weht also der Wind«, erwiderte Professor von Trittin. »Sie haben im ›Bayreuther Eck‹ herumgeschnüffelt. Ich sage Ihnen was, Sanftleben. Treiben Sie es nicht zu weit. Sie haben keine Ahnung, mit was für Leuten Sie sich anlegen.«
»Soll das eine Drohung sein?«, fragte Otto.
»Bitte entschuldigen Sie, dass wir Sie aufhalten mussten«, mischte sich der Commissarius schnell ein, bevor sich die Situation weiter zuspitzen konnte. »Vielen Dank für Ihre Mithilfe. Und auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen«, sagte Professor von Trittin, blickte noch einmal drohend zu Otto auf und zog Daniele Vicente mit sich.
Otto sah den beiden Männern nach, die durch das offene Tor auf den Universitätsvorplatz gingen.
»Der Professor mag ein Schweinehund sein«, sagte der Commissarius, »aber solange Daniele Vicente ihm ein Alibi gibt und es auch vor Gericht beschwört, können wir nichts machen.«
»Irgendetwas stimmt da nicht«, erwiderte Otto. »Ich bin mir sicher, dass Trittin in die Morde verstrickt ist.«
»Mein Lieber, verrennen Sie sich nicht wieder. Denken Sie nur an den Kreuzigungsfall. Da beschuldigten Sie den Kriminaldirigenten von Grabow, weil Sie vernarrt in diese Revueschauspielerin waren. Ich hoffe doch, dass nicht wieder eine Frau Ihr Gehirn
Weitere Kostenlose Bücher