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Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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vergangenen Tagen ist viel auf mich eingestürzt.«
    Otto wollte den Teufel nicht an die Wand malen. Deshalb ersparte er sich die Bemerkung, dass eine schnelle Überprüfung des Alibis von Professor von Trittin möglicherweise den zweiten Mord verhindert hätte. »Ich habe heute Morgen einen Blick in das Vorlesungsverzeichnis geworfen. Er leitet um zehn Uhr eine Veranstaltung im Auditorium. Wenn wir uns beeilen, können wir ihn abpassen und fragen, wo er sich in den Mordnächten aufgehalten hat.«
    »Eine ausgezeichnete Idee, mein Lieber«, erwiderte der Commissarius. »Ich kippe nur noch schnell ein, zwei Gläschen von dem Schaumwein, und dann –«
    Otto entrang ihm die Flasche und sagte: »Sie haben jetzt genug getrunken. Sie müssen einen klaren Kopf bewahren. Kleiden Sie sich an. Und vergessen Sie Ihre Handfesseln nicht.«
    Friedrich-Wilhelms-Universität
    Eine gute Stunde später fanden sich Otto und der Commissarius unter dem Denkmal Friedrichs des Großen am östlichen Ende der Linden ein und beobachteten die Trottoirs. Zum ersten Mal seit Wochen hatte sich die Sonne durchgesetzt und entfaltete gleich eine solche Kraft, dass Otto der Schweiß den Rücken hinunterlief. Auch dem Commissarius war es offenbar unter seiner gepuderten Perücke heiß geworden. Mit einem Taschentuch tupfte er sich den Nacken aus.
    »Dass es gleich so drückend werden muss«, beschwerte sich Funke. »Und auch noch heute.«
    Auf der Straße herrschte ein reger Verkehr, als hätten alle nur darauf gewartet, bei sommerlichen Temperaturen eine Ausfahrt zu unternehmen. Viele Dogcarts, zweirädrige, leichte und von einem Pferd gezogene Wagen, die bevorzugt von modisch gekleideten Junggesellen gelenkt wurden, waren unterwegs. Vor der Königswache sammelten sich die ersten Schaulustigen, um der Wachablösung beizuwohnen. Die Parolen der Offiziere und die strammstehenden Soldaten waren eine Attraktion. Vor dem Universitätszaun fanden sich Semmelfrauen ein, die auf ein schnelles Geschäft hofften.
    Rechtzeitig vor Beginn der Vorlesungen trafen auch Studenten ein. Viele von ihnen trugen die Farben ihrer Verbindungen, und Otto ordnete sie den verschiedenen Landsmannschaften, Burschenschaften und Corps zu. Er erinnerte sich noch gut, wie er selber jeden Morgen aus dem chambre garni in der Friedrichstraße gestürzt war, um sich in die Charité oder ins Auditorium zu begeben. Es war eine unbeschwerte Zeit gewesen, an die er gerne zurückdachte.
    »Warum stehen wir eigentlich in der Sonne herum?«, meckerte der Commissarius. »Wenn ich jemanden verhören will, bestelle ich ihn in mein Dienstbureau, oder ich suche ihn geradewegs am Arbeitsplatz auf. Diese Vorgehensweise ist höchst unprofessionell.«
    »Vielleicht sollten Sie eine Moospastille lutschen«, sagte Otto. »Sie riechen aus dem Mund. Moment mal, sehen Sie die Droschke da? Und den Mann, der gerade aussteigt? Das ist er. Und er ist nicht alleine. Kommen Sie!«
    Während Otto zwischen einem Landauer und einem berittenen Gardeoffizier über die Straße eilte, konnte er seinen Augen kaum trauen. Er hätte nicht für möglich gehalten, dass sich die beiden Männer kannten; und noch weniger hätte er für möglich gehalten, dass sie einen freundschaftlichen Kontakt pflegten. Unterschiedlichere Charaktere waren kaum vorstellbar, und er fragte sich, was die beiden verband. Waren es gemeinsame Interessen? Wenn ja – in welche Richtung gingen diese Interessen?
    »Herr Professor, warten Sie!«, rief Otto. »Wir müssen mit Ihnen sprechen.«
    Professor von Trittin und Ottos alter Reisegefährte aus Deutsch-Südwestafrika, Daniele Vicente, blieben stehen und drehten sich um. Auch äußerlich hätte der Unterschied kaum größer ausfallen können. Der Wissenschaftler trug hochhackige schwarze Lackschuhe, einen auswattierten Frack und einen extrahohen Zylinder. Trotzdem war er sowohl in der Länge als auch in der Breite deutlich weniger als der frühere Großwildjäger, der mit seiner Wildlederweste und den staubbedeckten Stiefeln einen abenteuerlichen Eindruck machte. Die einzige Gemeinsamkeit bestand darin, dass beide Männer übernächtigt aussahen.
    »Was für eine Überraschung!«, sagte Daniele Vicente. »Ich hätte nicht erwartet, dich so schnell wiederzusehen. Was führt dich her, mein Freund?«
    Otto hatte die ausgestreckte Hand seines früheren Reisegefährten ergriffen. Daniele Vicente erwiderte den Druck der Finger nicht zu stark und nicht zu schwach. Auch endete die Berührung weder

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