Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
getan?«, fragte Otto. Als er merkte, dass Daniele Vicente zögerte, hakte er sofort nach: »Du steckst bis zum Hals in der Sache drin. Wenn du jetzt nicht kooperierst, kann ich nichts mehr für dich tun. Dann wanderst du ins Zuchthaus. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«
»Emil hat mich darum gebeten und mir gesagt, dass es keine große Sache sei«, erwiderte Daniele Vicente. »Er selbst wollte nicht ins ›Bayreuther Eck‹ gehen, weil er nicht mit Leuten wie Hermann Ahlwardt gesehen werden wollte. Das sei schlecht für seinen Ruf, hat er gesagt. Nach allem, was er in den vergangenen Jahren für mich getan hat, habe ich mich nur revanchiert, aber mit den Morden hab ich nichts zu schaffen.«
»Und Trittin?«, fragte der Commissarius.
»Als die Taten verübt wurden, war er die ganze Zeit bei mir«, erwiderte Daniele Vicente. »Das würde ich auch unter Eid aussagen. Er kann es nicht gewesen sein.«
»Er muss aber von den Morden gewusst haben«, wandte Otto ein. »Wahrscheinlich hat er sie sogar geplant. Ansonsten hätte er sich den Schlüssel zum Affenhaus nicht besorgt. Wenn du diese schrecklichen Taten verurteilst, dann hilf uns jetzt, den Mörder zu fassen, damit es nicht noch ein weiteres unschuldiges Opfer gibt. Wen kann Trittin mit der Ausführung beauftragt haben?«
»Emil hatte immer Leute, die für ihn die Drecksarbeit erledigt haben«, erwiderte Daniele Vicente. »Das war schon auf dem Friedrichsgymnasium so. Seine Antisemitenfreunde von heute kenne ich nicht. Ich will mit dieser brutalen Bande auch nichts zu tun haben. Im Hinblick auf unsere langjährige Freundschaft hat Emil das respektiert.«
»Und früher?«
»Da gab es viele. Auch einen Klassenkameraden von uns. Sein Vater hatte eine gut gehende Gastwirtschaft und hat beim Börsenkrach sein ganzes Vermögen verloren. Er war ein passabler Schüler, jedenfalls besser als ich, aber aus irgendeinem Grund ist er kurz vor dem Abiturexamen abgegangen, um Fußsoldat in einem Berliner Regiment zu werden. Wenn er mal Ausgang hatte, war er immer beim harten Kern im ›Bayreuther Eck‹ dabei. Für Emil war er lange so etwas wie seine rechte Hand. Dann hat er eine Näherin kennengelernt. Ihr zuliebe hat er sich von den Antisemiten distanziert und sich einen bürgerlichen Beruf gesucht, der ihm ein normales Familienleben ermöglichte und nicht ganz so gefährlich war. Wenn ich richtig informiert bin, ist er der Preußischen Polizei beigetreten.«
»Sie meinen doch nicht etwa Wachtmeister Holle?«, fragte der Commissarius.
»Kennen Sie ihn?«, erwiderte Daniele Vicente.
»Er war viele Jahre einer meiner engsten Mitarbeiter«, sagte der Commissarius.
»Und ich bin ihm eben noch begegnet und hab ihm die Hand geschüttelt«, sagte Otto. »Herr Funke, erinnern Sie sich an unser Gespräch im Café Bauer?«
»Natürlich«, erwiderte der Commissarius.
»Ich sagte Ihnen, dass der Täter vermutlich Symptome eines Melancholikers aufweisen würde. Holles Haare waren so fettig und sein Schweißgeruch so stark, als hätte er schon seit Tagen keine Körperpflege mehr betrieben. Unter seinen Augen zeichneten sich bläuliche Ringe ab, als würde er unter Schlafmangel leiden. Seine Lippen waren weißlich spröde, als würde er nicht genug trinken. Er wirkte verwahrlost und sprach mit einer schleppenden Stimme, als würde er um jedes Wort ringen müssen. Sein Händedruck war so teilnahmslos, als würde er schon nicht mehr in dieser Welt weilen. Holle weist Symptome einer fortgeschrittenen Melancholie auf. Hat er sich in letzter Zeit etwas zuschulden kommen lassen?«
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte der Commissarius. »Er hat sich zweimal abfällig über das Judentum geäußert, und zwar in einer Art und Weise, die ich nicht dulden konnte. Ich habe sein Verhalten beim Kriminaldirigenten zur Anzeige gebracht.«
»Holle ist ein Antisemit?«, fragte Otto erstaunt.
»Das kann ich nur bestätigen«, erwiderte Daniele Vicente. »Sein Vater hat sich nach dem Börsenkrach das Leben genommen, und Holle hat die Juden dafür verantwortlich gemacht. Mit Ausnahme von Emil kenne ich niemanden, der so radikale Standpunkte vertreten hat. Bevor er seine Frau kennenlernte, war er einer der übelsten Radaubrüder.«
»Trotz allem kann ich mir nicht vorstellen«, sagte der Commissarius, »dass Holle herumläuft und Juden umbringt. Er ist doch Polizist!«
»Viele wahnhafte Menschen können im Berufsalltag durchaus eine Fassade aufrechterhalten«, sagte Otto. »Sie
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