Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
Vom Netzwerk:
auf, aber sein Blick war leer. Er schien nichts erkennen zu können. Trotzdem kratzte er fortwährend über die faserigen Seitenwände des Sarges und hatte sich schon mehrere Splitter zugezogen. Seine Fingerspitzen bluteten.
    Für einen Moment fühlte er einen großen Schmerz. Dieser Mann war einmal ein tapferer Germane gewesen, aber er war vom rechten Weg abgekommen und hatte ihn verraten. Er hatte genau gewusst, welchen Stellenwert die Künstlerin für ihn hatte, aber dann hatten sie sein Gehirn mit Hypnosestrahlen beeinflusst. Wahrscheinlich hatte er nicht einmal begriffen, was er getan hatte.
    Aufgrund ihrer alten Freundschaft konnte er den Mann ihnen nicht überlassen, er würde ihn mitnehmen und vor Odin an seine großen Verdienste erinnern und für ihn um Gnade flehen. Damit sie es überhaupt nach Walhall schafften, durften sie allerdings keinen Verdacht mehr erregen. Die Erneuerung des Knebels würde nicht reichen. Er musste auch dieses geräuschvolle Kratzen unterbinden.
    Als er den Arm von Professor Emil von Trittin packte und ihn über die Kante des Sarges legte, wurde ihm bereits schlecht. Er hasste Gewalt, aber manchmal war sie die einzige Lösung. Er hob die Brechstange an und schlug zu, zuerst auf den rechten Arm und dann auf den linken, bis er sich sicher sein konnte, dass der Wissenschaftler seine Hände nicht mehr gebrauchen konnte.
    Pariser Platz
    Otto stand vor seinem Elternhaus und hielt seine alte Trainingsmaschine der Marke Nürnberger Velociped am Lenker fest. Neben ihm hatte sich Moses aufgebaut und setzte einen Fuß auf die Pedale seines Cleveland Cycles, eines hochmodernen amerikanischen Fahrrads. Sein Bruder Ferdinand trat zu ihnen und fragte: »Wie wollt ihr denn nach Kladow kommen? Wenn ihr über die Brücke bei Spandau fahrt, seid ihr die halbe Nacht unterwegs. Außerdem ist die Straße bei Gatow noch unbefestigt und in einem miserablen Zustand.«
    »Wir nehmen den kürzesten Weg«, erwiderte Otto. »Über Charlottenburg, den Kronprinzessinnenweg und von Sandwerder schwimmen wir rüber.«
    »Du willst schwimmen?«, fragte Ferdinand.
    »Ja«, erwiderte Otto. »Das Segelboot habe ich bereits zurückgegeben, der Fährmann von Sakrow ist in zwei Stunden längst zu Bett gegangen, und die Strecke von ›Klein-Sanssouci‹ zum Gut Neukladow zu rudern, dauert viel zu lange. Außerdem sind es von Sandwerder zum gegenüberliegenden Havelufer kaum mehr als achthundert Meter. Eine solche Strecke lege ich kraulend vor dem Frühstück zurück, und Moses ist geübt genug, um sie auch zu bewältigen.«
    »Dann solltest du unbedingt meine neuen Schwimmapparate mitnehmen«, sagte Ferdinand. »Es kann ja sein, dass die Zeit pressiert. Mit ihnen kannst du mehr als doppelt so schnell durchs Wasser pflügen. Du musst sie nur um die Füße schnallen und sie im Wasser auf- und abbewegen, wie Schwanzflossen.«
    Otto hielt große Stücke auf die Erfindungen seines Bruders und sagte sofort: »Dann mal her damit, aber bitte schnell!«
    Nachdem er die Schwimmapparate an dem Rahmen gebunden hatte, schob er das Fahrrad durch das Brandenburger Tor, um nicht von einem eifrigen Verkehrspolizisten wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt zu werden, denn das Fahren auf dem Pariser Platz war immer noch verboten. Die Nacht war längst hereingebrochen, und er entzündete die Lenkradlaterne. Dann stieg er in den Sattel und trat in die Pedale. Um sich keine Zerrung zuzuziehen, steigerte er das Tempo allmählich. Während er durch den Tiergarten rauschte, hielt er die Handgriffe fest umklammert. Er spürte den Fahrtwind in seinem Gesicht und lauschte seinen Atemzügen. Meter um Meter näherte er sich Igraine. Obwohl noch eine ganze Wegstrecke vor ihm lag, lenkte ihn das Strampeln von seinen ärgsten Sorgen und Befürchtungen ab. Immer wieder rief er sich ins Gedächtnis, dass niemand von ihrem Aufenthaltsort wissen konnte.
    Ich bin gleich bei dir, dachte er.
    Gutshaus
    Igraine erwachte durch ein Geräusch und schlug die Augen auf. Sie schaute in die Dunkelheit des Schlafzimmers und fragte sich, was sie gehört hatte. War es das Zuschlagen eines Fensterladens oder das Knarren von Holzdielen gewesen?
    Natürlich musste sie sofort an den Mann denken, der in ihre Wohnung in der Kurfürstenstraße eingedrungen war und sich an ihrer Unterwäsche vergangen hatte. Hatte er sie aufgespürt? Doch eigentlich war es unmöglich, dass er ihren Aufenthaltsort in Erfahrung gebracht hatte. Sie hatte ihn nur wenigen Vertrauten verraten, und diese

Weitere Kostenlose Bücher