Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
erfüllt von einem aufdringlichen männlichen Geruch, dem sich der Tierpfleger nicht entziehen konnte.
»Ick jloob, ma laust der Affe«, sagte Winfried Wolter und blickte von einem zum anderen. Er griff sich in den Kragen und lockerte ihn. Auf seiner Stirn zeigten sich erste Schweißperlen. »Wat is’n nu los?«
»Warum sind Sie in den letzten Tagen nicht auf der Arbeit erschienen?«, brüllte Otto. »Warum haben Sie sich in Spandau bei Ihrem Schwager versteckt?«
»Det jehta’n feuchten Kehricht an«, erwiderte der Tierpfleger, zog dabei aber den Kopf ein, als würde er einen Faustschlag erwarten.
Otto gab den Ordnungspolizisten ein Zeichen, woraufhin sie vortraten und ihn fortwährend anschrien: »Mach das Maul auf!«, »Rede endlich!«, »Inwieweit steckst du in der Sache drin?«.
»Ist ja jut«, sagte der Tierpfleger endlich. »Nu triezt ma nich so. Ick sag ja allet!«
Otto war sich darüber bewusst, dass er sich in einer Grauzone bewegt hatte. Zwar hatte er Winfried Wolter keine Gewalt angetan, aber er hatte den gefühlsmäßigen Ausnahmezustand des Tierpflegers ausgenutzt. Schritt für Schritt war er in sein Territorium eingedrungen und hatte ihm vorgegaukelt, dass er sich nur mit einem Geständnis retten könnte. Obwohl Otto diese harte Gangart nicht mochte, hatte ihm der Charakter des Mannes keine Wahl gelassen. Angesichts der akuten Gefahr, die nach wie vor von dem Serienmörder ausging, hielt er sein Handeln für gerechtfertigt.
Im Beisein des Commissarius erklärte Winfried Wolter, dass er sich versteckt habe, weil er von dem Mord im Affenhaus erfahren habe und damit nicht in Verbindung gebracht werden wolle. Er räumte ein, dass er auf einen anonymen Brief hin einen Abdruck von dem Schlüssel gemacht habe, den er gegen Bezahlung von fünfzig Mark an einen Mann im »Bayreuther Eck« gegeben habe. Von dem geplanten Mord an dem Juden Salomon Hirsch habe er nichts gewusst. »Und det kann ich Ihnen versichern, det is amtlich!«
»Wie heißt der Mann, dem Sie den Schlüssel ausgehändigt haben?«, fragte Otto.
»So’n junga Jott. Mit blonden Zotteln.«
Otto kniff die Augen zusammen. »Sie meinen doch nicht etwa Daniele Vicente?«
»Det is sein Name. Den kenn ick noch von anno dazumal.«
»Es wird sich zeigen«, sagte der Commissarius, »ob Sie die Wahrheit gesagt haben. Sie bleiben so lange in Haft, bis wir Ihre Aussagen überprüft haben. Herr Doktor, wenn Sie mir bitte auf den Gang folgen würden.«
Nachdem sie das Verhörzimmer verlassen hatten, sagte Otto: »Ich bin völlig baff. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass Daniele Vicente in eine gewalttätige Mordserie verstrickt sein könnte.«
»Lassen Sie uns das auf dem Weg zur Berliner Gewerbeausstellung klären«, erwiderte der Commissarius. »Ich werde uns jetzt eine Kutsche besorgen und einige Kollegen zusammentrommeln für den Fall, dass es zu unschönen Szenen bei der Verhaftung kommen sollte. Warten Sie bitte solange in meinem Bureau.«
»Natürlich«, erwiderte Otto und machte sich auf den Weg. Unterwegs kam ihm Wachtmeister Holle entgegen, der ihm bei früheren Gelegenheiten schon häufiger begegnet war und mit dem er öfters ein paar Worte gewechselt hatte. Der Polizist trug einen Koffer bei sich. »Guten Tag, Herr Holle«, sagte Otto und streckte seine Hand aus. »Lange nicht gesehen. Wie geht’s Ihnen und Ihrer werten Gattin?«
»Den Umständen entsprechend«, erwiderte Holle und legte seine Hand in Ottos. Sie fühlte sich kalt, weich und knochenlos an, wie ein toter Fisch. Sie drückte weder Freude noch Widerstand noch sonst irgendeine gefühlsmäßige Regung aus, sondern war nichts als ein Treibgut, das aufgrund eines formellen Begrüßungsrituals in der Hand eines anderen gestrandet war. Obwohl Otto mit seinen Gedanken woanders war, erlebte er einen klarsichtigen Moment und beschloss, diese Begrüßung als die »unbeteiligte Hand« in sein Buchprojekt aufzunehmen.
Er wechselte einige belanglose Worte mit dem Wachtmeister und begab sich dann in das Bureau, wo er wenig später von Commissarius Funke abgeholt wurde. Gemeinsam gingen die beiden Männer zum Ausgang.
»Bitte lassen Sie mich mit Daniele sprechen«, sagte Otto.
Berliner Gewerbeausstellung
Otto spürte seinen früheren Reisegefährten in »Alt-Berlin« auf, wo das Georgentor, das Heilig-Geist-Viertel und reich verzierte Patrizierhäusern aufwendig errichtet worden waren, um den Besuchern die Stadtgeschichte zu veranschaulichen. Zahllose kostümierte
Weitere Kostenlose Bücher