Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
Vom Netzwerk:
hatte sie noch gebeten, mit niemandem darüber zu sprechen.
    Sie horchte in die Dunkelheit und hörte nur das Ticken der Standuhr, die im kleinen Salon ihren Dienst versah. Sie musste an die Spukgeschichten ihrer Freundin Else denken, die normalerweise in den Sommermonaten hier lebte. Ihr Ehemann Curt von Morgen war schon mit gezogenem Revolver über den Dachboden gekrochen, um Gespenster zu jagen. Allerdings hatte Igraine solchen Schauermärchen nie viel Bedeutung beigemessen. Es war allgemein bekannt, dass Landgut- und Schlossbesitzer sich gerne rühmten, ein eigenes Gespenst zu beherbergen. Nicht selten wurde es beim Inventar aufgeführt wie die Louis-seize-Möbel und schraubte den Kaufpreis in die Höhe, wenn Meister der spiritistischen und dunklen Künste zu den Interessenten zählten.
    Igraine wollte sich schon auf die Seite drehen und weiterschlafen, als sie das Geräusch erneut vernahm. Dieses Mal konnte sie es klar zuordnen. Es war das Wiehern eines Pferdes gewesen, was sehr ungewöhnlich war, denn die Verbindungsstraße zwischen Kladow und Gatow verlief ein ganzes Stück landeinwärts an dem Gut vorbei. War vielleicht der Verwalter zurückgekehrt? Er war nach Usedom, an die Ostsee, gefahren, um der Beerdigung seiner Schwester beizuwohnen und ihren Nachlass zu regeln. Eigentlich wurde er erst in zwei Wochen zurückerwartet. Vielleicht hatte er sich vom Bahnhof eine Mietdroschke genommen?
    Igraine schlug die Decke zurück, schlüpfte in die Holzpantinen und legte sich den Morgenmantel über. Sie trat ans Fenster, schob die Vorhänge zurück und blickte auf die mondbeschienene Havel und den Wannsee. Am Nachthimmel prangten die Sterne. Hatte sie sich das Wiehern nur eingebildet? Sie spielte schon mit dem verlockenden Gedanken, sich wieder ins warme Bett zu legen, aber da erklang es bereits zum dritten Mal. Jetzt war jede Täuschung ausgeschlossen, jetzt musste sie der Angelegenheit auf den Grund gehen.
    Sie öffnete die Schlafzimmertür und bewegte sich zu dem Nebeneingang auf der Südseite des Gutshauses. Sie drehte den großen, knarzenden Schlüssel um, trat nach draußen und stieg die Treppe hinunter. Die Luft war erstaunlich frisch und ließ sie frösteln. Während sie den Morgenmantel über ihrer Brust zusammenhielt, stellte sie sich auf den Vorplatz und drehte den Kopf in alle Richtungen. Zwei große Raben flogen geräuschvoll über sie hinweg, was sie kurz verwunderte, weil die Vögel normalerweise zu dieser Uhrzeit in einer großen Eiche, in einiger Entfernung zum Haus, schliefen. Irgendwo schlug ein Hund an, aber er war so weit entfernt, dass er kaum zu hören war. Ansonsten konnte sie nichts Verdächtiges ausmachen.
    Sie wollte sich schon um die Hausecke zum Hauptportal an der Ostseite begeben, als sie in den Augenwinkeln einen Schatten wahrnahm. Blitzschnell legte sich ein Arm um ihre Brust und zog sie zurück. Auf ihren Mund drückte sich etwas Weiches, das süßlich roch. Sie wollte sich wehren, sie wollte nach hinten austreten, aber schon schwanden ihr die Sinne.
    Sandwerder
    Otto hatte die Strecke in einem hohen Tempo zurückgelegt und lehnte das Fahrrad nun gegen einen Fichtenstamm. Während er sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn wischte, schüttelte er seine Beine aus. Von der erhöhten Inseldüne hatte er freie Sicht über die mondbeschienene Havel auf das Gut Neukladow.
    »Oh nein«, sagte er und kniff die Augen zusammen, um schärfer sehen zu können. »Ich fürchte, dass der Kerl ihren Aufenthaltsort doch herausgefunden hat. Kannst du erkennen, was da vor sich geht?«
    Mit wogendem Brustkorb trat Moses neben ihn und erwiderte: »Ich sehe ein Boot, das an dem Anleger festgemacht ist. Am Ufer ist ein Lagerfeuer entzündet und mehrere brennende Fackeln sind in den Boden gerammt worden. Ich kann ein Pferdegespann mitsamt Wagen ausmachen und einen Mann, der einen Koffer trägt.«
    »Einen Koffer, sagst du?« Otto erinnerte sich an die letzte Begegnung mit Wachtmeister Holle im Polizeipräsidium, der ebenfalls so ein Gepäckstück in der Hand gehalten hatte. Der Polizist war so nah gewesen, dass er nur hätte zugreifen müssen. »Siehst du Igraine irgendwo?«
    »Nein, das ist alles. Was hat das zu bedeuten?«
    »Ich fürchte, nichts Gutes«, erwiderte Otto und band die Schwimmapparate vom Fahrradrahmen. »Komm schnell!«
    Zwischen jungen Ahornen, Eichen und Robinien sprang Otto den steilen Abhang hinunter. Auf dem lockeren Boden verlor er den Halt und rutschte ein Stück auf dem

Weitere Kostenlose Bücher