Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
Hosenboden bergab. Sofort rappelte er sich wieder auf und rannte weiter, bis er das ebene Schwemmland erreichte. Zwischen Grasflächen und kleineren Tümpeln zeichneten sich einige ruhende Pferde in der Dunkelheit ab.
Endlich erreichte Otto das Röhricht, das die gesamte Insel in einem breiten Gürtel umgab. Während er sich die Kleider vom Leib riss, sagte er: »Wir müssen versuchen, so leise wie möglich zu sein. Am besten tauchen wir viel. Die Nacht ist sehr ruhig, es geht kaum ein Wind, und das Wasser ist spiegelglatt. Ich will nicht, dass er uns schon von Weitem hört und etwas unternimmt, bevor wir drüben sind.«
»Verstanden«, sagte Moses. »Ich hab mein Bowie-Messer dabei. Willst du es haben?«
»Behalt es. Wenn er wirklich so verrückt ist, wie ich glaube, kann ich mir möglicherweise seine Ängste zunutze machen. Wenn mir das nicht gelingen sollte, bist du an der Reihe. Am besten näherst du dich ihm von hinten.«
»Wo ist hinten?«
»Das erfahren wir, wenn wir drüben sind. Du gehst links vom Bootsanleger an Land. Ich nehme den längeren Weg, rechts am Anleger vorbei. Auf dem Schwemmland treffen wir uns in der Mitte.«
Plötzlich umarmte sein Leibdiener ihn. »Du kannst dich auf mich verlassen«, sagte Moses. »Ich würde dich niemals im Stich lassen.«
»Das weiß ich«, sagte Otto gerührt und klopfte ihm auf den Rücken. »Komm jetzt. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.«
Unter einem Arm trug er die Schwimmapparate, mit dem anderen Arm schob er das Schilf auseinander, um sich einen Weg zu bahnen. Das Wasser war kalt, und sein Körper war im Nu von einer Gänsehaut überzogen. Auf dem Grund war weicher Schlamm, der zwischen seinen Zehen hervorquoll. Von Zeit zu Zeit trat er auf einen abgebrochenen Schilfhalm, der sich schmerzend in seine Fußsohle bohrte. Dann hatte er den Röhrichtgürtel hinter sich gelassen. Das Wasser reichte ihm bis zum Bauchnabel. Vor ihm öffnete sich der schwarze Havelstrom, der an einigen Stellen silbern schimmerte. Er schlüpfte in die Schwimmapparate, schob die elastischen Halteriemen über die Fersen und sagte: »Wir sehen uns drüben.«
»Bis gleich!«, erwiderte Moses.
Obwohl Otto am Anfang viel Wasser schluckte, hatte er schnell raus, wie er die Schwimmapparate am wirkungsvollsten nutzen konnte. Er streckte die Arme nach vorne und bewegte sich in Wellen wie ein Fisch. Er musste nur aufpassen, dass die Flossen nicht auf die Wasseroberfläche klatschten. Der Abstand zu Moses wurde immer größer, und eine Strecke, für die er normalerweise eine gute Viertelstunde benötigt hätte, bewältigte er in der Hälfte der Zeit.
Möglichst leise schob er sich durch den Schilfgürtel. Dann hatte er die andere Havelseite erreicht.
Am Bootsanleger
Als Igraine das Bewusstsein zurückerlangte, wusste sie zunächst nicht, wo sie sich befand und was mit ihr passiert war. Sie nahm nur einen süßlichen Geschmack im Mund wahr und sah in einiger Entfernung einen roten Flammenschein, der sogleich wieder verschwamm. Sie hörte das Knistern von Holz und bekam würzigen Rauch in die Nase. Hinter den Fackeln und dem Lagerfeuer war es dunkel. Offenbar war Nacht. Sie versuchte ihre Arme zu bewegen, aber ihre Hände lagen in ihrem Schoß gefesselt. Sie saß im Gras und lehnte mit dem Rücken gegen etwas Hartes, das sich schmerzhaft in ihren Rücken bohrte.
Plötzlich begriff sie, was hier vor sich ging.
Sie war eine Gefangene.
Und endlich kehrte auch die Erinnerung zurück. Sie hatte im Gutshaus geschlafen und ein Pferd gehört. Dann war sie nach draußen gegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Jemand hatte sich angeschlichen und sie betäubt. Was wollte dieser Mensch von ihr? Wollte er ihr etwas antun?
Ihr Herz klopfte heftig, als sie hörte, wie jemand polternd über den Bootsanleger ging. Jetzt sah sie, dass er eine Kiste trug und ihr dabei den Rücken zukehrte. Das war ihre Chance. Vielleicht war das sogar ihre einzige Chance, um zu entkommen. Igraine wollte sich aufrappeln, aber sie merkte, dass auch ihre Füße gefesselt waren. Die Knoten waren so fest gebunden, dass sie die Seile unmöglich abstrampeln konnte. Sie würde nur kriechen können.
Während sie sich auf die Seite rollte, entdeckte sie eine Gestalt, die reglos neben ihr auf dem Boden lag. Als sie einen Blick auf das spitze Gesicht erhaschte, identifizierte sie Professor Emil von Trittin. Sein weißes Hemd war mit Blutflecken übersät, und seine Arme wirkten deformiert, aber sein Brustkorb hob und senkte sich,
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