Mord in Der Noris
ich denke, dabei handelt es sich um etwas, womit sie mir am Zeug
flicken will. Wahrscheinlich glaubt sie, dass bei der Suspendierung irgendetwas
nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, und sieht da eine Chance für sich, mir
eins auszuwischen. Und außerdem bin ich nicht hart, sondern ein guter Mensch,
ein ganz guter Mensch. Das zumindest hat erst gestern ein gewisser Herr Bartels
zu mir gesagt, und der muss es schließlich wissen – der arbeitet nämlich schon
fast zehn Jahre mit mir zusammen.«
»Sie klang übrigens sehr gedrückt am Telefon, sehr
kleinlaut. Überhaupt nicht mehr so forsch wie noch vor Kurzem. Ich denke, sie
bereut ihr Verhalten mittlerweile. Weißt du, was ich glaube?«
»Ich fürchte, nein.«
»Ich glaube, sie möchte wieder zu uns zurück. Oder
vielmehr, um genau zu sein, zu dir. Die hat sich das mit der Versetzung in
Trommens Kommission gründlich überlegt. Zeit zum Überlegen hatte sie ja genug.
Ich glaube, die Eva will nicht mehr wechseln. Die hat eingesehen, dass das ein
Schmarrn ist, weil es bei uns halt doch am schönsten ist. Auf jeden Fall viel
schöner als bei Trommen. Überleg dir das mit der Suspendierung halt noch mal.
Denn eigentlich hat sie ganz gut zu uns gepasst, zumindest in der Anfangsphase.«
Sie suchte in Heinrichs Ton nach Ironie, fand aber nur
eine fast schon kindlich-naive Aufrichtigkeit. Weil es bei
uns halt doch am schönsten ist. Das erstaunte sie. Und auch von seinem
Versuch, ihr Eva Brunners Rückkehr schmackhaft zu machen, war sie einigermaßen
überrascht. Nach deren Unterstellungen ihm gegenüber war sie davon ausgegangen,
dass für ihn das Thema Brunner, Eva erledigt sei. Genau wie für sie.
»Wenn dem so ist, wie du annimmst, was ich immer noch
stark bezweifle, dann hat sie eben Pech gehabt. Das hätte sie sich früher
überlegen müssen. Ich brauche hier niemanden, der mir ständig in den Rücken
fällt und unsere Arbeit hintertreibt. Ich brauche motivierte, zuverlässige,
fähige Mitarbeiter«, sagte sie.
Selbst in ihren Ohren klang das stark nach miefigem
Stellenanzeigen-Deutsch, aufgesetzt, geschraubt, schief. Doch zumindest hatte
sie damit auch ihm gegenüber ein für alle Mal klargestellt, dass charakterliche
Abweichungen künftig gnadenlos von ihr sanktioniert würden.
»Für all diese feinen Sachen hast du ja mich«,
entgegnete Heinrich mit einem sonnigen Grinsen, sichtbar unbeeindruckt von dem
falschen Pathos und der versteckten Drohung. »Ich bin extrem motiviert, äußerst
zuverlässig und der fähigste Mitarbeiter des Präsidiums überhaupt. Das müsste
dir doch reichen.«
»Das Wichtigste hast du vergessen: Vor allem bist du
der Mitarbeiter des Präsidiums mit den geringsten Fehlzeiten, du bist ja Gott
sei Dank so gut wie nie krank. So, das sind jetzt vier Anrufer. Und die letzten
zwei, wer war das?«
»Die habe ich«, betonte er, »angerufen. Zuerst den
Schwager der Platzer, diesen Frank Weber, der noch mit seiner älteren Tochter
zusammenlebt. Dann die jüngere Tochter.«
»Und wie waren die so am Telefon? Vom gleichen Kaliber
wie unsere Apolonia?«
»Na ja, sie scheinen sich über meinen Anruf nicht
gerade gefreut zu haben. Das war ein hartes Stück Arbeit, das kann ich dir
sagen, einen Termin mit allen dreien zu vereinbaren. Aber auch das ist deinem
fähigsten und zuverlässigsten Mitarbeiter gelungen. Um fünf werden wir die
ganze Familie, Vater und Töchter, treffen. Bei ihm in der Wohnung. Herkommen
wollten sie nicht.«
»Gut. Und hat mein fähigster und zuverlässigster
Mitarbeiter denn auch schon die Kontostände überprüft?«
Heinrich sah sie entrüstet an. »Also, Paula, ich
glaub, du spinnst. Wie soll denn das gehen, bei all dem Stress? Aber ich habe
die Kontostände schon vorliegen, von allen im Übrigen. Und in einer ruhigen
Minute werde ich sie dann auswerten, aber bisher war das eben nicht möglich.
Was hast du eigentlich in der Zeit gemacht, in der ich hier nur am Rödeln war?«
»Ich war mit Herrn Platzer in der Gerichtsmedizin,
anschließend in einem Stehcafé und habe da einiges Interessante
herausgefunden.«
Sie erzählte ihm kurz von dem Ergebnis dieser Befragung.
Sagte ihm, dass Elvira Platzer eben nicht nur der egozentrische Geizkragen
gewesen war, sondern in den Augen ihres Exmannes auch andere Seiten hatte. Die
der immensen Hilfsbereitschaft zum Beispiel. Dass sie sensibel und empfindlich
gewesen sei. Und vor allem lediglich »ein besseres Dienstmädchen« für die alte
Rupp und deren jüngere Tochter,
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