Mord in Der Noris
welche Verhältnisse meinen Sie?«
»Sie haben doch sicher schon mit Elviras Mutter
gesprochen, oder?«
Sie nickte.
»Dann wissen Sie ja, was sie durchmachen musste.
Elvira hat keine schöne Kindheit und Jugend gehabt. In ihrem Elternhaus gab es
nur eine Person, um die sich alles drehte. Ihre Schwester Claudia. Elvira war
eigentlich nur ein besseres Dienstmädchen, das nichts zu melden hatte.«
»Aber von ihrem Vater wurde sie doch geliebt,
schließlich hat er ihr die Eigentumswohnung vererbt und nicht seiner anderen
Tochter oder seiner Frau.«
»Ach, der hatte doch, genau wie Elvira, zu Lebzeiten
nichts zu melden. Das Regiment im Haus Rupp hat nur die Alte gehabt, dieser
Drachen. Und das mit der Wohnung war bloß eine Art Rache von ihm, um den beiden
anderen Weibern eins auszuwischen.«
»Diese Rache hat offensichtlich gut funktioniert. Ich
hatte den Eindruck, dass Frau Rupp ihrem Mann diese Erbschaft nicht verziehen
hat. Genauso wenig wie sie Elvira verziehen hat, dass sie das Erbe schließlich
auch angetreten und nicht mit ihr geteilt oder es ihr – noch besser für Frau
Rupp – ganz überlassen hat.«
»Na«, schnaubte Erwin Platzer empört und im tiefsten
Bass, »da wär sie aber schön blöd gewesen. Und dumm war Elvira nicht, gutmütig
ja, aber nicht dumm.«
»Sie sprechen immer noch sehr liebevoll über Ihre
Exfrau. Darf ich Sie fragen, was der ausschlaggebende Grund war, dass Sie sich
damals von ihr getrennt haben? Oder sie sich von Ihnen?«
Erstaunt sah er sie an. »Eigentlich haben wir beide
eingesehen, dass es mit uns so nicht weitergeht. Die letzten zwei Jahr hab ich
mich schon gar nicht mehr nach Haus getraut. Es wurde immer schlimmer. Jeden
Tag war mindestens ein neues Trumm da und am nächsten Tag wieder eins und noch
eins … Sie können sich das nicht vorstellen, wie das ist, wenn jemand alles
sammelt, was er irgendwo findet, auch in der Mülltonne hat sie rumgekramt, und
aufhebt und nichts hergeben will. Und dabei so stur ist, nicht zum Einlenken zu
bewegen. Durch nichts.«
Resigniert starrte er auf seinen Kaffeebecher.
»Gegessen haben wir in der Küche. Im Stehen.
Geschlafen hab ich auf der Luftmatratze in der Diele, Elvira in ihrem Sessel.
Und dann kam der Tag, als ich die Beherrschung verloren hab. Elvira hatte mir
noch am Morgen versprochen, Ordnung zu machen. Ganz fest versprochen hatte sie
es mir. Doch als ich heimkam, war alles wie sonst. Nichts hatte sich geändert.
Und da hab ich dann aufgeräumt. Angefangen hab ich in der Küche. Alles, was mir
in die Finger kam, gepackt und an die Wand geworfen. Weiter ging’s im Bad und
von da aus im Schlafzimmer. Dort stand aber schon Elvira im Türrahmen und
wollte mich nicht reinlassen. Im Schlafzimmer hat sie nämlich ihre größten
Schätze aufgehoben, in einer Plastiktüte unter ihrem Sessel. Da war ich ganz
kurz davor, dass ich ihr …« Er stockte und blickte ins Leere.
Nach einer Weile fuhr er fort. »… dass ich ihr
eine schmier. Und zwar eine gewaltige. Und nicht nur eine. Dass ich ihr
gegenüber mich nicht mehr im Griff hab. Das wollte ich nicht. Also bin ich
gegangen. Eine Zeit lang hab ich bei einem Kumpel gewohnt, bis ich eine Wohnung
gefunden hatte.«
»Und seit diesem Tag haben Sie sich nicht mehr
gesehen?«, fragte Paula, die Verständnis für seinen Kontrollverlust hatte, es
aber nicht zeigen wollte.
»Nein. Kein einziges Mal.«
Zum Abschluss musste sie ihm noch eine unangenehme
Frage stellen, wusste aber nicht, wie sie diese anbringen sollte, ohne ihn zu
kränken.
Doch sie sah keinen anderen Weg als den direkten, den
unmissverständlichen, den mit dem hohen Verletzungsrisiko.
»Frau Platzer wurde am vergangenen Montag, in der
Nacht gegen Viertel nach elf umgebracht. Wo waren Sie zu diesem Zeitpunkt?«
»Ah, Sie wollen wissen, ob ich ein Alibi habe«,
stellte er ohne beleidigten Unterton fest. »Ich hab eins, und zwar das
allerbeste, was man sich denken kann. Ich war mit dem Stadtbus in Nürnberg
unterwegs. Die 36er Linie, vom Plärrer zum Doku-Zentrum und retour.
Nachtschicht, Dienstbeginn achtzehn Uhr dreißig, Dienstende offiziell null Uhr
dreiundvierzig am Plärrer. So steht es im Linienfahrplan, das können Sie
jederzeit überprüfen. Und nachts werden die Fahrpläne auf die Minute
eingehalten. Es ist ja wenig los auf den Straßen.«
Gutmütig, sensibel, hilfsbereit – in den vergangenen
fünfzehn Minuten war aus Heinrichs geizigem und habgierigem »Herzchen«, aus der
unbeliebten und egozentrischen
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