Mord in der Vogelkoje
als einen weißen Strich bildeten, und schüttelte den Kopf.
»Sind etwa die Nachbarn Ihnen gegenüber so feindlich eingestellt?«
»Nein. Dücke war beliebt. Er war ein guter Junge.«
»Warum dann?«
Sie schwieg eine Weile und sagte dann plötzlich. »Ich möchte, dass Sie gehen.«
»Haben Sie zuweilen Schüsse gehört?«, fragte Asmus, absichtlich direkt, um sie zu überrumpeln.
Frau Eskeldsen presste ihre Hände auf beide Ohren. »Nein, nein!«, schrie sie. »Gehen Sie!«
Schweigend standen sie beide auf. »Wir finden allein hinaus, bleiben Sie ruhig sitzen«, sagte Matthiesen beschwichtigend und legte Frau Eskeldsen sanft seine Hand auf die Schulter. Sie schüttelte sie ab wie ein giftiges Insekt.
Erst als sie an ihren Motorrädern angekommen waren, sprachen sie wieder. »Das war wohl die seltsamste Befragung, an der ich je beteiligt gewesen bin«, befand Asmus.
»Vermutlich hast du noch nie jemanden vernommen, der so hungrig und verzweifelt gewesen ist.«
»Ja, das stimmt. Und noch eins ist festzustellen: Dücke hat auf keinen Fall Geld dafür bekommen, dass er den größten Teil seines Grundstücks an die Bauherren abgetreten hat. Dann ginge es hier nicht derart ärmlich zu.«
»Sie könnten Dücke gedroht haben«, stellte Matthiesen sachlich fest.
»Wie auch immer. Wir werden jedenfalls auf der Stelle zu Nickels Petersen fahren. Sie werden doch wohl in der Lage sein, diese Nachbarin mit einem verstorbenen, aber beliebten Sohn durch die gegenwärtige Hungerzeit zu bringen. Sonst ist das doch auch üblich«, fauchte Asmus zornig.
»Sie schon wieder!«, knurrte Petersen, als er die Tür geöffnet hatte.
Eine völlig überflüssige Bemerkung. Asmus schob sich ohne Rücksichtnahme in den Flur, gefolgt von Matthiesen. Petersen brachte seine Zehen in Sicherheit, während seine Miene von Verdruss zu Wachsamkeit wechselte.
»Frau Eskeldsen vegetiert in ihrem Haus ohne jeden Krumen Brot. Beabsichtigen Sie, sie verhungern zu lassen?«, gauzte Asmus. »Ist das Ihr Ziel?«
»N-nein«, stammelte Petersen. »Natürlich nicht. Wir sorgen für verarmte Nachbarn.«
»Das merkt man. Erkundigt haben Sie sich jedenfalls nicht bei Frau Eskeldsen!«
»Die Geschäfte, Sie wissen ja. Außerdem ist das Sache der Frauen …«
»Ja, ja, die Geschäfte«, unterbrach Asmus ihn, ohne seine Verachtung zu kaschieren. »Durch die Gassen laufen Frauen mit geschlachteten Wildenten in Körben, während die gehbehinderte Frau Eskeldsen nur noch Haut und Knochen ist und allmählich in ihr Grab sinkt. Warum hat sich niemand um sie gekümmert?«
Petersen zuckte die Schultern. Erstmals spiegelten seine Augen ein Gefühl wider, das Asmus zu seiner Verwunderung eher als Angst denn als Mitleid interpretierte.
»Da muss man natürlich was machen«, gab Petersen nach einer Weile verlegen zu.
»Schön, dass es Ihnen einfällt. Und was werden Sie machen?«
Petersen gewann seine Selbstsicherheit schon wieder zurück. »Nun gut. Ich werde dafür sorgen, dass man ihr eine gebratene Ente bringt. Gekochter Sudden aus unserer Küche ist bestimmt noch übrig, und eins meiner Kinder kann Möweneier für sie sammeln gehen.«
»Das hört sich schon besser an. Wo sind übrigens die Kartoffeln geblieben, die Dücke in der Koje angebaut hat?«
Jetzt war Petersen erstaunt. »Keine Ahnung. Er wird sie verkauft haben.«
»Frau Eskeldsen behauptete, sie seien verschwunden. Das hört sich nicht nach Verkauf an.«
Petersen hob die Schultern. »Darüber weiß ich wirklich nichts.«
»Na ja. Wann machen Sie sich mit der Ente auf den Weg? Und wann schicken Sie Ihre Kinder los?«
»Meine Frau bringt ihr eine gebratene Ente. Sie muss sie nur aus dem Fetttopf holen und fertigbraten.«
»Sofort.«
»Meinetwegen sofort.«
»Wir werden das überprüfen. Wir kommen in nächster Zeit öfter durch Kampen«, drohte Asmus. »Da fällt mir übrigens noch etwas ein: Wer baut eigentlich auf dem weitläufigen Gelände an der Ostseite?«
Petersen zog eine Grimasse. »Genau weiß ich es auch nicht. Eine Gesellschaft. Wahrscheinlich ein komfortables Hotel für Golfer. Für den Golfplatz wird natürlich viel Platz benötigt.«
»Selbstverständlich. Sogar Dücke Eskeldsens Obstgarten.«
Nickels Petersen schürzte die Lippen. Er wusste sehr wohl, wovon Asmus sprach, aber er gab dazu keine Meinung ab.
K APITEL 5
»Das reicht mir für heute«, knurrte Asmus. »An manchen Tagen geht einfach alles schief.«
»Wir könnten uns aber noch mit Alwart Jensen, dem
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