Mord in der Vogelkoje
Gemeindevorsteher, unterhalten«, schlug Matthiesen vor. »Der ist ein umgänglicher Mann. Vielleicht war der Arbeitstag dann nicht ganz vergeblich.«
»Gut, machen wir das. Wo wohnt er?«
»Am Westende des Dorfes. Ich fahre wieder voraus.«
Schon von weitem sah Asmus den Mann, der auf seinem Dach hockte und das Reet ausbesserte. Hinter dem Haus erhob sich eine Düne. Da das Haus in Ordnung gehalten und der Garten groß und gepflegt war, vermutete Asmus sofort in ihm den Gemeindevorsteher. Trotz der in der Stadt sichtbaren wachsenden Armut schienen in Kampen die Folgen der Inflation noch nicht angekommen zu sein.
Ganz richtig rief der Mann auf dem Dach sofort zu ihnen hinunter, als sie die Motorräder an seinem Steinwall abgestellt hatten: »Wollt ihr zu mir, Lorns?«
»Gut geraten, Alwart«, rief Matthiesen zurück. »Wir sollten drinnen reden.«
»Ich komme.« Jensen stieg vom Deckstuhl auf die Leiter um, die er behände herunterkletterte, und lehnte sein Klopfbrett an die Wand. Eine Frau, die nahezu unsichtbar hinter Sträuchern zwischen Beeten gekauert hatte, erhob sich, um nach der freundlichen Begrüßung der Gäste ins Haus zu eilen.
»Was liegt an?«, fragte Jensen und gab ihnen beiden die Hand. »Wenn ein Polizist erscheint, ist es dienstlich, wenn zwei kommen, ernst. Herr Asmus, nicht wahr?«
Asmus nickte lächelnd. Der Gemeindevorsteher, der noch gar nicht so alt war, wie sein Amt vermuten ließ, hatte lockiges Haar wie viele Dänen und auch etliche Mecklenburger, die aus Dänemark dorthin eingewandert waren.
Jensen setzte ein verschmitztes Grinsen auf und zeigte nach oben, während er sich zum Hausgiebel mit der in Blau und Rot bemalten beschnitzten Tür in Bewegung setzte. »Die Biesterchen graben immer wieder Löcher ins Dach, vor allem, wenn sie im Frühjahr anfangen zu füttern. Da muss man schnell hinterher sein und stopfen.«
»Amseln?« Asmus wusste nicht, ob er Mäuse oder gar Ratten meinte.
»Ja, jetzt noch. Auf dem Festland haben sie Steinmarderin den Reetdächern. Deren Löcher sind wirklich ernst zu nehmen. Gehen durch bis auf den Dachboden. Deine Speckseiten darfst du da nicht aufhängen! Gnade uns Gott, wenn sie in Massen über den Damm kommen, wenn der erst fertig ist. Und das werden sie.«
»Wie ist es mit Erschießen?«, fragte Asmus, dem der zufällige Einstieg in gerade dieses Thema gut passte.
Jensen wandte sich zu ihm um. »Bei einzelnen Mardern, die im Winter über das Eis laufen, geht das. Aber nicht, wenn sie zu jeder Jahreszeit über festen Grund einwandern können. Im Nu haben sie Junge, und schlau sind sie auch. Die werden sich schnell über Sylt verteilen. Und unter den bodenbrütenden Vögeln hausen wie die Schlächter, da können Sie ganz sicher sein, Herr Asmus.«
»Ja, ich weiß«, sagte Asmus bedrückt. Seine Hauptaufgabe bestand ja gerade darin, die beiden Naturschutzgebiete zu schützen. Und wieder einmal bekam er um die Ohren gehauen, wie schwierig es mit dem Wattenmeer-Damm werden würde.
Neben der Haustür trocknete eine Gliep, das Netz, das meistens Frauen zum Krabbenfang benutzten. Jensen und seine Frau schienen fleißig zu sein und viele Fähigkeiten zu haben.
Asmus und Matthiesen nahmen am Küchentisch Platz, wo das Wasser im Kessel auf dem Herd simmerte und es angenehm warm war, im Gegensatz zu einem kalten Pesel, dessen holländische Fliesen vor Nässe tropften. Hier fühlte sich Asmus erstmals in Kampen wohl. Er überließ Matthiesen die Gesprächsführung, denn der junge Mann hatte schon bewiesen, wie schnell er in unbekannte Aufgaben hineinwuchs. Sich um rücksichtslose Radfahrer zu kümmern würde ihn auf Dauer nicht zufriedenstellen.
»Wir gehen den Fragen nach, die sich ergeben«, begann Lorns mit großer Ernsthaftigkeit, »weil in eurer Entenkoje ein Fremder erschossen wurde, erstens, und weil in der Kampener Mark manchmal Schüsse zu hören sind, zweitens. Wer schießt hier und warum?«
»Tja«, Jensen kraulte sich ratlos das blonde Haar, »man erzählt sich tatsächlich unter der Hand, dass jemand mit Schrot schießt. Gelegentlich sogar mit Kugeln. Das weiß ich. Die Schüsse selbst habe ich nie gehört. Du musst bedenken, dass ich hier am Westrand von Kampen wohne, und wir haben ja sehr häufig Westwind. In der Koje abgegebene Schüsse könnten wir hier nicht hören, die wären zu weit weg. Die Schüsse würde ich deshalb am Ost- und am Nordrand des Dorfes vermuten. Wir haben zwar alle Flinten, noch aus besseren Zeiten, aber trotzdem
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