Mord in der Vogelkoje
der Insel wahrlich mehr als genug. Asmus musterte unauffällig die Zuschauer, an denen Matthiesen und er vorbeimarschierten, um sich an die Spitze des Zuges zu setzen. Auch dort schien die Stimmung gut zu sein. Kleine Kinder schwenkten Fähnchen, und die Eltern schwatzten angeregt miteinander und mit Nachbarn und zeigten hierhin und dorthin.
Von Kampfstimmung oder Nervosität war nichts zu spüren. Ausgeschlossen war natürlich nicht, dass einzelne Kommunisten den Versuch wagen würden, zu stören, denn dafür waren sie in ganz Deutschland bekannt. Auf Sylt pflegten sie extra zu diesem Zweck vom Festland importiert zu werden. Aber Asmus sah nur Einheimische, die meisten vermutlich aus Morsum, wo es entsprechend den Wählerlisten viele Kommunisten gab. Aber Sylter, die bei der Wahl die Kommunisten ankreuzten, waren noch lange keine Störer.
Einzelne dänische Flaggen wurden geschwenkt, auch in Kinderhand, aber diese nicht aus Protest, sondern als fröhlicher dänischer Beitrag zu einem Festtag. Niemand hatteetwas dagegen. Die Westerländer konnten trotz aller Propaganda unterscheiden zwischen den Dänen, die seit alters auf der Insel heimisch waren, und den Festlandsdänen, die sich als Aufkäufer von Häusern verarmter Sylter betätigten. Wegen der Inflation waren die Wechselkurse für Dänen ungeheuer günstig.
Endlich wurde das Zeichen zum Abmarsch gegeben. Die Pferde, meist schwere Ackergäule, senkten die Köpfe und stapften los. Unter »Hurra«-Gebrüll an der ganzen Strecke gelangte der Zug schließlich an der Kirche an.
Asmus und Matthiesen blieben draußen. Während des Festgottesdienstes würde drinnen nichts passieren. Bei den Pferden, die von einer Schar halbwüchsiger Jungen gepasst wurden, sah das möglicherweise anders aus.
Aber alles blieb friedlich. Als die Besucher des Gottesdienstes sich schließlich vor der Kirche voneinander verabschiedeten und in alle Himmelsrichtungen zu ihren Häusern, Wohnungen oder Ortschaften strömten, war nichts geschehen, außer dass Asmus das Kaninchenessen verpasst hatte. Er ärgerte sich.
K APITEL 7
Am Montagmorgen hatte Asmus endlich Gelegenheit, mit Jep zu reden.
»Mein Verdacht war bestimmt richtig«, berichtete Jep triumphierend. »Für das Stück Uferzaun haben sie zweiunddreißig Pfähle verbaut. Und dort, wo später das Haus, das Hotel oder was auch immer hingestellt werden soll, liegen Basaltsteine. Es sieht aus, als sollten sie später zu einer Terrasse gelegt werden.«
»Donnerwetter, Jep! Das hast du aber gut gemacht«, sagte Asmus anerkennend. »Wo könnten sonst Basaltsteine hergekommen sein als vom Damm?«
Jep nickte zufrieden. »Ich kam mit einem der Männer ins Gespräch, dem Dachdecker. Wir waren beide in derselben Schule in Wenningstedt, Lars hat eine Reihe hinter mir gesessen, weil er eine Klasse über mir war. Ich sagte ihm, dass die Terrasse bestimmt schön würde – mit dem Blick über das Wasser, und in der Morgensonne würden die Gäste gern dort frühstücken. Wieso frühstücken und wieso Gäste?, fragte er. Die vom Festland angeheuerten Schnepfen dürften sich dort höchstens eine Zigarettenpause gönnen, dann ginge es wieder zurück zur Arbeit in den Saal.«
»Du meine Güte«, sagte Asmus betroffen. »Das hört sich ja eher nach Fabrik als nach Hotel an.«
»Genau. Und nicht nach Sylt, sondern nach Berlin.«
»Was das wohl zu bedeuten hat?«, grübelte Asmus.
»Ich habe mir da auch meine Gedanken gemacht. Was hältst du davon, wenn ich Lars zu Hause besuche? Vielleicht erzählt er mir noch mehr. Ich würde der Familie gern etwas mitbringen, die haben’s auch sehr knapp. Nur weiß ich nicht, was. Ich habe selbst nichts«, bekannte Jep verlegen. »Einen geräucherten Aal oder Fisch? Aber die kosten …«
»Hat er noch etwas von zu Hause erzählt?«
»Er erwähnte, dass er ein Töchterchen von sechs Wochen hat und dass seine Frau nicht genug Milch hat. Mehr nicht.«
»Hm«, sagte Asmus nachdenklich. »Aber deine Idee ist ganz hervorragend, Jep. Ich werde mich bei Ose erkundigen. Vielleicht weiß sie Rat, das tut sie meistens.«
»Ja? Fein!«
»Du wirst ein richtig guter Polizist, Jep, weißt du das? Hauptwachtmeister Sinkwitz wird sehr bedauern, dass erlauter Schupos verliert, wenn ihr euch alle zum Wechsel zur Kriminalpolizei meldet.«
Jep strahlte.
In diesem Augenblick betrat Hauptwachtmeister Sinkwitz den Raum. »Moin. Gibt es etwas Neues?«, fragte er kurz und knapp, ohne sich mit Höflichkeiten
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