Mord in der Vogelkoje
der Mitte sieht man die Pfeife mit der Reuse. Es ist dasselbe Etikett wie das in der Koje.«
»Die Männer vom Biwak könnten durchaus aus Föhr stammen«, überlegte Asmus. »Vielleicht, um selbst festzustellen, ob sich die Aktivierung der Gesellschaft lohnt, und gegebenenfalls bei Petersen ihr Interesse als auswärtige Teilhaber anzumelden.«
»Möglich. Aber so war es nicht«, verkündete Ose. »Die Kerle sind keine Föhrer.«
»Woher weißt du das?«
»Von Kaufmann Bonde Sibbersen, als wir uns nach den Wildenten erkundigten.«
Asmus blickte sich wie von ungefähr um. Gerade rechtzeitig, denn am Ende der Friedrichstraße spazierte Sinkwitz mit den Händen auf dem Rücken höchst persönlich heran. »Eine Kurzfassung«, drängte er. »Ich muss weiter.«
»Sie sind Süddeutsche.«
»Versuch, am kommenden Sonntag zum Essen zu kommen, Nis«, warf Blaicke hastig ein. »So schnell wird ja nicht gerade wieder ein Umzug stattfinden. Es sind vier Krickentenkeulen, und wir werden sie zusammen genießen.«
Asmus salutierte und wanderte gemächlich in Richtung Strand weiter. Süddeutsche. Interessant.
Mit den Kutschern zu reden hatte keinen Zweck, solange Asmus seinen Chef in seinem Rücken vermuten musste. Stattdessen bog er zweimal nach links ab, was sich zum Abschütteln seines Verfolgers als erfolgreich erwies, denn es waren beides kurze Querstraßen.
Hier zeigte sich mehr als in der unmittelbaren Umgebung der Friedrichstraße das Elend, das mit der Inflationeinherging. Wahlplakate der Deutschnationalen mit dem Adler hingen heruntergerissen an Laternen und Häuserwänden, Müll und anderer Dreck verschmutzten die Winkel zwischen den Mauern, und aus einem der anscheinend durchgehend offenen Nachtlokale torkelte ihm ein Betrunkener entgegen. Etliche Häuser verfielen, weil den Besitzern offensichtlich das Kapital zum Renovieren fehlte.
Dann stand Asmus jedoch plötzlich vor einem Logierhaus mit dem Namen Schwarzer Hahn, einem Giebelhaus, das recht klein, aber anständig gehalten war. Asmus beschloss, hier sein Glück zu versuchen, zumal er auf diese Weise Sinkwitz endgültig entgehen konnte.
Trotz der vermutlich wenigen Zimmer leistete man sich einen Portier, der sich höflich erhob, als Asmus an den Tresen trat, und nach seinem Begehr fragte.
Asmus salutierte und stand stramm. Dies war kein Ort und keine Gelegenheit, sich lässig zu geben. »Ich suche nach einem Herrn Manfred Müller, der hier vor drei, vier Wochen gewohnt haben könnte.« Jeder Name war brauchbar außer einem einheimischen.
Der Portier schlug widerspruchslos sein Meldebuch auf. Nach drei Seiten klappte er es wieder zusammen. »Einen Herrn Manfred Müller hatten wir nicht.«
»Es könnte sein, dass er einen anderen Namen angegeben hat«, versuchte Asmus es aufs Neue. »Er soll etwas skurril sein. Ein Vogelkundler.«
»Ein Vogelkundler? Ja, einen hatten wir vor kurzem. Warten Sie.« Wieder begann die Suchprozedur, und schließlich blieb der Zeigefinger an einer Zeile hängen. »Er heißt Maximilian Degenhardt.«
»Aus?«
»Stockach am Bodensee. Und etwas merkwürdig war er schon, bei allem Respekt.«
»Wie meinen Sie das?« Asmus blieb äußerlich ruhig, hielt aber vor Spannung den Atem an.
»Neben seiner nagelneuen Reisetasche hatte er einen uralten abgeschabten Schultornister mit, den er hütete wie seinen Augapfel. Ausgebeult war er auch.«
»Aber was er enthielt, wissen Sie nicht?«
»Nein, er hat ihn hier bei mir nicht geöffnet.«
»Vielleicht einen Vogel …« Der Portier war für Scherze nicht zu haben, das merkte Asmus sofort. »Nach wie vielen Tagen ist er abgereist?«
»Am dritten Tag. Unter etwas ungewöhnlichen Umständen. Ein Dienstmann kam, frühmorgens schon, um im Namen unseres Gastes dessen Gepäck zu holen und die Rechnung zu begleichen. Herr Degenhardt habe sich den Fuß böse verknackst oder gar gebrochen und warte in Munkmarsch an der Fähre, um nach Hause zu fahren. Es eile, wegen der Ebbe und weil das Schiff früh abfahren müsse. Und die Quittung wollte Herr Degenhardt auch ausgehändigt bekommen.«
»Hat der Dienstmann also Tasche und Tornister mitgenommen?«
»Nur die Reisetasche. Den Tornister hatte Herr Degenhardt am Morgen unter dem Arm, als er unser Haus verließ.«
»Wie war er gekleidet?«
»Mit Anzug, Jackett, Weste und Hose, distinguiert wie alle unsere Gäste. Erlesen, vornehm, ohne übertrieben zu wirken.«
»Hm. Offensichtlich wollte er ursprünglich am Morgen noch nicht
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