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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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bestimmten Personen allein bist?«, regte sie an. »Angesichts der Umstände würde das doch ganz und gar natürlich erscheinen.«
    Serafina lächelte kläglich. »Nerissa? Sie hat keine Vorstellung von der Vergangenheit und ist überzeugt, dass ich fantasiere. In ihren Augen bin ich eine alte Frau, die ihre Erinnerungen aufbläht und die Vergangenheit in leuchtenderen Farben darstellt, um die Trostlosigkeit der Gegenwart aufzuhellen und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Zwar ist sie viel zu höflich, als dass sie das sagen würde, doch lese ich es in ihren Augen.« Serafina senkte den Blick auf die Bettdecke. »Außerdem hat sie andere Dinge im Kopf. Ich vermute, dass sie verliebt ist. Ich erinnere mich noch gut, wie das bei mir war und an all die damit verbundene Erregung. Ständig habe ich mich gefragt, ob er wohl an jenem Tag kommen würde oder erst am nächsten, und ich weiß noch sehr gut, welche Qualen ich gelitten habe, wenn ich annahm, er habe seine Aufmerksamkeit einer anderen zugewandt.« Sie hob erneut den Blick zu Vespasia. In ihren Augen lag neben Lachen und Trauer auch eine Frage.
    »Gewiss«, stimmte Vespasia zu, »so etwas vergisst man natürlich nicht.« Erneut richteten sich ihre Gedanken auf das Problem, dem sie sich gegenübersah. »Aber hat deine Großnichte denn gar keine Vorstellung davon, wer du bist und was du geleistet hast?«
    Serafina schüttelte den Kopf. »Nein. Wie sollte sie auch? Es war damals eine andere Welt. Ich kannte in dem einen Reich jeden, auf den es ankam, und du in dem anderen. Wir waren mit zu vielen Geheimnissen vertraut, und ich frage mich, ob das bei dir immer noch der Fall ist.«
    Einen Augenblick lang empfand Vespasia Unbehagen. In der Tat wusste sie weit mehr über politische und persönliche Geheimnisse bedeutender Persönlichkeiten der Gegenwart, als sie je irgendjemandem sagen würde, nicht einmal Thomas Pitt. Wie hatte Serafina sie nur so leicht und so rasch durchschaut?
    Die Antwort war einfach: weil sie einander in ihrem Wesenskern glichen. Sie beide waren Frauen, denen Dinge und Menschen wichtig waren, und so hatten sie ihren Mut und ihren beträchtlichen Charme dazu genutzt, Einfluss auf mächtige Männer zu nehmen, die über das Geschick ganzer Völker bestimmen konnten.
    »Möglicherweise«, gab Vespasia zu, »doch sie sind meiner Ansicht nach nicht gefährlich.«
    Serafina lachte. »Du lügst wieder!«, sagte sie fröhlich. »Wenn das stimmte, würde deine Stimme schwermütig klingen. Das ist aber nicht der Fall. Ich höre darin nicht das geringste Bedauern.«
    »Bitte entschuldige«, sagte Vespasia aufrichtig. »Ich habe dich unterschätzt. Das war ungehörig von mir.«
    »Ich verzeihe dir. Ich habe damit gerechnet. Wer überleben will, muss lügen können. Meine große Sorge ist, dass mir die Fähigkeit abhandenkommt, Situationen richtig einzuschätzen, oder, wenn es mir noch schlechter geht, sogar die Fähigkeit, die Unwahrheit zu sagen.«
    Erneut empfand Vespasia Mitleid mit der Kranken, diesmal noch mehr als zuvor. Einst war Serafina großartig gewesen, geradezu eine Tigerin, und jetzt lag sie kraftlos und allein da und hatte Angst vor den Schatten der Vergangenheit.
    »Ich werde mit Miss Freemarsh sprechen«, sagte sie entschlossen. »Und was ist mit deiner Zofe? Wird sie nach wie vor mit deinen anderen Dienstboten fertig?«
    »Durchaus, die Gute. Ich möchte keine andere haben. Aber sie ist auch schon mindestens siebzig, da kann ich nicht erwarten, dass sie sich die ganze Zeit um mich kümmert. Manch mal sehe ich, wie die Arbeit sie erschöpft.« Sie verstummte, weitere Erklärungen waren unnötig.
    »Vielleicht könntest du dir eine Pflegerin ins Haus holen, die ständig um dich ist, zumindest tagsüber, wenn damit zu rechnen ist, dass Besuch kommt«, regte Vespasia an. »Eine Frau, die genug Verstand hat, um einzugreifen, wenn eine Unterhaltung zu sehr auf vertrauliche Dinge zu geraten droht.«
    »Meinst du, es gibt so jemanden?«, fragte Serafina in zweifelndem Ton.
    »Bestimmt«, sagte Vespasia voll Zuversicht, obwohl ihr der Einfall gerade erst gekommen war. »Auch in hohen Regierungsämtern, im diplomatischen Dienst oder gar in der Rechtspflege tätige Menschen wissen Dinge, die sich verhängnisvoll auswirken würden, wenn sie den falschen Menschen zu Ohren kämen. Sie sind ebenso wenig wie du dagegen gefeit, alt und krank zu werden – ganz davon zu schweigen, dass manche von ihnen zu viel trinken!«
    Wieder lachte Serafina. Es klang

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