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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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dahingegangen.
    Die junge Frau lächelte. »Es ist ausgesprochen liebenswürdig von Ihnen, sich Sorgen zu machen, aber ich kann unmöglich Menschen daran hindern, Tante Serafina zu besuchen. Dann wäre sie entsetzlich einsam. Sie hat kaum noch eine andere Freude im Leben, als mit jemandem zu reden, sich ihren Erinnerungen hinzugeben und sie vielleicht ein wenig zu verklären. Es ist wirklich sehr zuvorkommend, dass Sie die Einstellung eines weiteren Dienstboten erwägen, aber darin liegt nicht die Lösung. Überdies wäre das angesichts der gegenwärtigen Situation auch wirtschaftlich nicht klug, doch möchte ich das Tante Serafina nicht sagen.«
    Dagegen konnte Vespasia unmöglich etwas einwenden. Nicht nur wäre es sinnlos gewesen, sie hatte vor allem kein Recht dazu, da sie keinen Einblick in Serafinas finanzielle Lage hatte. »Ich verstehe.«
    »Ich hoffe, Sie wiederholen Ihren Besuch, Lady Vespasia. Tante Serafina schätzt Sie sehr. Sie hat schon oft von Ihnen gesprochen.«
    Zwar bezweifelte Vespasia den Wahrheitsgehalt des letzten Satzes, doch das auszusprechen wäre ungehörig gewesen.
    »Wir haben einander immer gern gemocht«, gab sie zur Antwort. »Selbstverständlich werde ich wiederkommen. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.«
    Die junge Frau begleitete sie zur Haustür. Draußen stampf ten die Pferde von Vespasias Kutsche im kalten Wind unruhig mit den Hufen.
    Victor Narraway langweilte sich in seiner neuen Position bereits zu Tode, dabei war er erst kürzlich in den Adelsstand und damit ins Oberhaus erhoben worden. Nach seinem Abenteuer in Irland, das ihn weit stärker mitgenommen hatte als vermutet, und nachdem man ihn seines Amtes als Leiter des Staatsschutzes enthoben hatte, brauchte er dringend eine Aufgabe, die seine außergewöhnliche Intelligenz und zumindest einige seiner Talente forderte. Auf keinen Fall durfte er sich in die Angelegenheiten Thomas Pitts einmischen, der seine Stelle an der Spitze des Staatsschutzes übernommen hatte, denn das wäre gleichbedeutend mit Zweifeln an dessen Fähigkeiten gewesen. Schon ein Versuch in dieser Richtung würde Pitts sämtliche Bemühungen untergraben und ihn in den Augen seiner Untergebenen, vor allem aber in denen des Staatssekretärs im Außenministerium, Lord Tregarron, herabsetzen, dem er Rechenschaft schuldete. Mit einem solchen Verhalten würde er Pitt nicht nur keinen Dienst erweisen, sondern ihm auch die Treue übel vergelten, die ihm dieser bewiesen hatte, als er in der zurückliegenden schweren Zeit als Einziger zu Narraway gehalten und sich offen von dessen Schuldlosigkeit überzeugt gezeigt hatte.
    Kurz gesagt, Narraway langweilte sich und empfand in seiner Rolle eines Beobachters, der keine Möglichkeit hatte, in irgendeiner Weise in die Geschehnisse einzugreifen, ein stärkeres Gefühl der Einsamkeit, als er angenommen hatte. Ganz davon abgesehen gab es im Staatsschutz ohnehin nicht viel Gelegenheit, einzugreifen. Seit Pitts Amtsübernahme schien es dort hauptsächlich Routineangelegenheiten gegeben zu haben, nichts, was besondere Anforderungen an Mut oder Vorstellungskraft gestellt hätte.
    Narraway hatte erwogen, ins Ausland zu reisen, und war tatsächlich im Spätherbst nach Frankreich gefahren, dessen sich weithin erstreckende Landschaften er stets genossen hatte. Er war in einigen der älteren Städte umherspaziert, wobei er halb vergessenes Wissen wieder wachgerufen und neues hinzugefügt hatte. Doch nach einer Weile verlor das seinen Reiz, weil ihn niemand begleitete, mit dem er seine Eindrücke hätte teilen können. Diesmal hatte er keine Charlotte an seiner Seite, konnte seine eigene Freude nicht in der eines anderen Menschen spiegeln. Das verursachte ihm einen Schmerz, an den er lieber nicht denken mochte.
    Auch hatte er Zeit gehabt, öfter als früher ins Theater zu gehen, was er immer gern getan hatte. Allerdings war die Londoner Theaterlandschaft seiner Ansicht nach deutlich verarmt, seit man Oscar Wilde wegen seines unangepassten Privatlebens nicht nur geächtet und ins Gefängnis gesperrt hatte, sondern auch seine Stücke nicht mehr auf die Bühne brachte. Das empfand er als besonders bitter.
    Zwar gab es da noch die Oper und Konzerte mit Werken von Beethoven und Liszt – zwei seiner Lieblingskomponisten –, doch stachelte die in ihnen spürbare Leidenschaftlichkeit sein Bedürfnis, etwas zu tun, nur noch mehr an. Er suchte nach einer Aufgabe, der er seine ganze Energie widmen konnte.
    Jetzt saß er in seinem Arbeitszimmer

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