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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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munter und fröhlich, wie ein Echo dessen, was sie einst gewesen war.
    »In deiner Gegenwart fühle ich mich gleich viel besser«, sagte sie aufrichtig. »Mit der schändlichen und geradezu gemeinen Weise, wie ich alt werde, falle ich denen zur Last, die ich stets geliebt habe und die mir vertraut haben, aber zumindest bin ich nicht allein. Besuch mich doch bitte wieder einmal, falls du nicht allzu sehr mit wichtigen Dingen beschäftigt bist.«
    »Das will ich gern tun«, versprach Vespasia, »und zwar selbst dann, wenn mir das Glück beschieden sein sollte, etwas Wichtiges erledigen zu müssen – was ich allerdings bezweifle.« Sie erhob sich. »Jetzt würde ich gern mit Miss Tucker und Miss Freemarsh sprechen, sofern das möglich ist. Danach werde ich mich nach einer verständigen und verschwiegenen Pflegerin umsehen.«
    »Danke«, gab Serafina mit vor Dankbarkeit und vielleicht auch Erleichterung heiserer Stimme zurück.
    Vespasia verließ das Zimmer und ging über den Flur zur Mädchenkammer, wo sie Miss Tucker zu finden hoffte. Sie kannte die Zofe noch aus der Zeit, da sie als junge Frau ihren Dienst bei Serafina angetreten hatte, damals, als sie sich alle miteinander in Italien aufgehalten hatten, und später hatte sie Serafinas Zofe zumindest von Zeit zu Zeit flüchtig gesehen.
    Eine junge Wäscherin mit einem Stapel frisch gebügelter Laken kam ihr entgegen.
    »Entschuldigung, können Sie mir sagen, wo ich Miss Tucker finde?«, fragte Vespasia.
    Die junge Frau deutete einen Knicks an. »Sehr wohl, meine Dame. Vermutlich in der Speisekammer. Soll ich sie holen?«
    »Tun Sie das bitte. Sagen Sie ihr, dass Lady Vespasia Cumming-Gould mit ihr sprechen möchte.«
    Nach wenigen Augenblicken kam Miss Tucker mit steifen Schritten, aber hoch erhobenen Hauptes über den Flur. Trotz des faltigen und bleichen Gesichts und der weißen Haare erkannte Vespasia sie sogleich an ihren hohen Wangenknochen und den großen blauen Augen, die ein wenig tief in ihren Höhlen lagen.
    »Guten Tag, Miss Tucker«, sagte sie. »Danke, dass Sie so rasch gekommen sind. Wie geht es Ihnen?«
    »Recht gut, vielen Dank, Mylady«, gab die Zofe zurück. Sie hatte auf eine solche Frage nie anders geantwortet, nicht einmal, wenn sie krank oder verletzt gewesen war. »Ich hoffe, auch Ihnen geht es gut, Ma’am?«
    »Ja, danke.« Nachdem die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht waren, kam Vespasia auf das zu sprechen, was ihnen beiden am Herzen lag. »Ich sehe, dass es Mrs. Montserrat nicht besonders gut geht, und möchte verhindern, dass sie durch ein mögliches Versagen ihres Erinnerungsvermögens bei jemandem Anstoß erregt.« Sie erkannte an Miss Tuckers Zügen, dass diese verstand, was sie meinte. Da standen zwei alte Frauen, die Tochter eines Grafen und eine Zofe, stumm auf dem Flur beieinander und hatten mehr Erinnerungen und Verstehen miteinander gemeinsam als mit den meisten anderen Menschen auf der Welt. Dennoch war es, vor allem, was Miss Tucker anging, unvorstellbar, dass sie je gegen die durch ihre jeweilige gesellschaftliche Position vorgegebenen Konventionen verstießen.
    »Es könnte ratsam sein, dass Sie sich so oft wie möglich in Mrs. Montserrats Zimmer aufhalten, ganz gleich, ob sie Sie darum bittet oder es vergisst. Es würde sie schon sehr beruhigen, wenn Sie ihr lediglich versichern könnten, dass sie nichts Taktloses gesagt hat.«
    Miss Tucker neigte den Kopf kaum wahrnehmbar. »Sehr wohl, Mylady. Ich werde mein Bestes tun. Miss Freemarsh …« Sie überlegte es sich offenbar anders und beendete ihre Aussage nicht.
    »Vielen Dank.« Es war Vespasia klar, dass sie nichts weiter zu sagen brauchte. »Es war schön, Sie wieder einmal zu sehen, Miss Tucker. Auf Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen, Mylady.«
    Vespasia wandte sich um und ging zur Treppe.
    »Es war sehr liebenswürdig von Ihnen, meine Tante zu besuchen«, sagte Nerissa Freemarsh, die Vespasia unten im Vestibül entgegenkam.
    »Unsinn«, gab Vespasia in schärferem Ton zurück, als sie beabsichtigt hatte. Das tröstliche Gefühl, das sie während des Gesprächs mit Miss Tucker empfunden hatte, war dahin, und tiefe Bestürzung bemächtigte sich ihrer. Auf körperlichen Verfall war sie gefasst gewesen, denn der war in gewissem Maße unvermeidbar, doch die Möglichkeit eines Schwindens der geistigen Fähigkeiten, und das in einem Ausmaß, dass man möglicherweise nicht mehr wusste, wer man war, hatte sie nicht in Erwägung gezogen – vielleicht, weil sie das nicht

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