Mord in h-moll
Geld war nicht für mich«, sagte ich. »Hilda war krank und sollte eine Kur in Davos machen.« Ich blickte Karin beschwörend an. »Es war falsch, daß ich das Geld unterschlagen habe. Aber ich hatte eine Erbschaft in Aussicht, damit hoffte ich, die Kasse wieder in Ordnung bringen zu können.«
Sie schenkte unsere Tassen wieder voll und tat in meine Tasse zwei Löffel Zucker. Sie rührte sogar kurz um, ehe sie mir die Tasse hinstellte. Und dann sagte sie, ohne mich anzublicken:
»Ich verstehe Sie nicht, Herr Roeder. Wie konnten Sie das tun?«
Natürlich, kein Mensch konnte mich verstehen, nicht einmal Karin Uhlmann. Ich schwieg verbockt, und sie fuhr fort:
»Sie hätten doch zum Chef gehen und ihn um Vorschuß bitten können?«
»So? Und was hätte er dann gemacht? Mich ausgefragt, wie einen kleinen Schuljungen. Und dann hätte er mir das Geld glatt abgeschlagen.«
Nun schwieg sie.
»Sehen Sie, Sie müssen mir recht geben.«
»Nein, das tu’ ich nicht. In Ihrem Falle hätte er vielleicht...«
»Wissen Sie, was er hätte? Er hätte sich gesagt, dieser Roeder ist in Geldverlegenheit. Einen Kassierer, der in Geldverlegenheit ist, kann ich nicht gebrauchen. Er hätte mich auf einen anderen Posten versetzt.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das hätte er bestimmt nicht. Außerdem...«
Wieder unterbrach ich sie.
»Außerdem hatte ich den Verstand verloren. Ich dachte nur noch daran, daß Hilda verreisen würde, wenn sie das Geld bekam. Ich hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen, denn die Erbschaft hätte ja alles gedeckt.«
»Oder die Sparkasse«, sagte sie. »Die hätte Ihnen sicherlich einen Kredit bewilligt.«
»Richtig. Nachdem ich ihr eine Gehaltsbescheinigung vorlege. Und woher bekomme ich die? Von der Firma. Und wer muß sie unterschreiben? Der Alte. Und damit wären wir wieder da, wo wir schon waren.«
Jetzt blickte sie mich voll an. Ich glaubte Mitleid in ihren Augen zu sehen.
»Sprechen wir nicht mehr davon«, sagte sie. »Ich habe die Kasse in Ordnung gebracht. Sie brauchen sich keine Sorgen darum zu machen.«
Ich starrte sie an.
»Sie haben... Sie haben das Geld...?«
»Ja«, sagte sie einfach. »Die geänderten Abrechnungen habe ich wieder in Ordnung gebracht, und den fehlenden Betrag in die Kasse gelegt. Sie stimmt jetzt, und Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«
Ich fand sekundenlang keine Worte. Endlich sagte ich:
»Ja... aber wie konnten Sie denn...«
»Ich habe ein wenig Geld«, sagte sie. »Es war doch klar, daß Sie Sorgen hatten, und nun kam noch das… das mit Ihrer Frau hinzu. Ich wollte nicht, daß Sie Ihre Chance in Stuttgart verlieren.«
Ich saß wie erstarrt. Da war ein Mensch, eine Frau, die etwas für mich getan hatte. Eine Frau, an der ich bisher vorbeigegangen war wie an allen anderen Frauen.
»Ich weiß nicht...«, murmelte ich voller Scham. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
Diese Worte klangen fade, konventionell, aber mir fielen keine anderen ein.
Karin stand auf.
»Ich glaube, es wird Zeit. Ich muß jetzt gehen.«
Ich hielt ihre Hände fest.
»Bitte noch nicht. Ich würde es jetzt allein nicht ertragen.«
Sie zögerte einen Augenblick, dann setzte sie sich wieder. Aber nun war es, als stünde eine gläserne Wand zwischen uns. Wir fanden beide keine Worte. Ich dachte an den Erpresser und an das Telefon. Dabei schwitzte ich vor Angst, er könne jetzt, gerade jetzt anrufen, solange Karin hier war. Sie war klug genug, um aus meinen Antworten alles zu erraten. Ich überlegte, ob ich unbemerkt das Telefonkabel abschneiden konnte.
Plötzlich stand Karin auf.
»Ich werde das Geschirr gleich spülen«, sagte sie. »Dann haben Sie es morgen wieder sauber.«
Ich sprang auf.
»Lassen Sie nur, Fräulein Uhlmann. Ich habe immer...«
Ich brach ab. Ja, ich hatte immer selber abgespült. Hilda sollte sich ihre Hände nicht verderben. Nun war ich es, der rot wurde. Aber Karin tat, als habe sie nichts bemerkt.
Ich begleitete sie in die Küche und schaute zu, wie sie abspülte. Sie wusch das Geschirr mit dem gleichen Spüllappen, den mir Hilda ins Gesicht geschlagen hatte.
Und plötzlich stand alles wieder vor mir, erschreckend deutlich. Weniger denn je bereute ich meine Tat, aber ich hätte trotzdem viel darum gegeben, sie nicht begangen zu haben. Ich glaubte sicher zu sein, daß Karin mehr für mich fühlte als Kollegialität oder Freundschaft. Und gerade darum erschreckte es mich, diese Tat begangen zu haben. Karin hatte es verdient, einen Mann
Weitere Kostenlose Bücher