Mord in h-moll
Krematoriums. Nein, nicht ganz allein. Karin Uhlmann kam auf mich zu.
Sie reichte mir nicht die Hand, und sie murmelte keine Beileidsworte. Ich wußte plötzlich, daß wir uns auch ohne Worte verstanden, und ich fing an zu gehen, an den Gräbern vorbei zum Friedhofstor. Karin ging schweigend neben mir.
Erst vor dem Tor sagte sie:
»Ich habe mir heute freigenommen. Darf ich Sie nach Hause begleiten?«
Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, sie darum zu bitten. Aber jetzt war ich froh, nicht allein sein zu müssen.
»Wollen wir gehen?« fragte ich.
»Ja, gehen wir.«
Fast eine Stunde später standen wir vor meiner Haustür.
»Es war lieb von Ihnen«, sagte ich, »daß Sie mich begleitet haben. Kommen Sie mit hinauf?«
Sie nickte nur, und ich schloß die Haustür auf. Während ich neben ihr die Treppe hinaufstieg, fiel mir ein, daß ich jetzt Witwer war. Witwer... ein merkwürdiges Wort. Ein Witwer war kein Junggeselle, er war etwas ganz anderes. Es war nichts dabei, daß eine Frau einen Witwer besuchte, sich um ihn kümmerte. Nicht einmal, wenn sie das an dem Tage tat, an dem seine Frau bestattet worden ist.
Ich ließ sie in die kleine Diele eintreten. Sie schaute sich kurz um, und ich folgte ihrem Blick. Noch nie hatte ich dieses aufdringliche Rosa der Wände leiden können, aber jetzt fiel es mir beinahe schmerzlich auf. Hilda hatte diese Farbe ausgesucht, und als ich seinerzeit Einwände machte, schalt sie mich unmodern.
Ich half Karin aus dem Mantel und hängte ihn neben meinen an die Garderobe, direkt unter einen kleinen Hut aus violettem Stroh mit violetten Blumen. Ich hätte ihn längst forträumen sollen.
Dann führte ich Karin ins Wohnzimmer. Oh, wie ich diese modernen, ungemütlichen Möbel mit ihren Bezügen in knalligen Farben haßte! Eines Abends, als ich vom Büro heimkam, hatten diese Möbel hier gestanden, und ein Jahr lang mußte ich sie in Raten abzahlen.
»Bitte«, sagte ich und deutete auf einen der modernen Sessel. »Bitte nehmen Sie Platz, Fräulein Uhlmann.«
Sie setzte sich, und wieder glitt ihr Blick durch den Raum. Ich hatte das Gefühl, als müsse ich mich verteidigen.
»Es ist nicht mein Geschmack«, erklärte ich. »Meine Frau hatte einen Hang zu allem Modernen. Ich liebe alte Möbel mehr. Wollen Sie Tee oder Kaffee?« Eigentlich wäre es Zeit zum Mittagessen gewesen, aber vermutlich verspürten wir beide keinen Appetit.
»Was trinken Sie?« fragte Karin zurück.
»Tee«, sagte ich. »Seit einiger Zeit streikt mein Magen, ich vertrage keinen Kaffee mehr.«
»Dann trinke ich auch Tee.«
Ich wollte in die Küche gehen, um den Tee zuzubereiten, aber Karin hielt mich sanft am Arm fest.
»Lassen Sie mich das machen«, bat sie. Und plötzlich wurde sie feuerrot. Stockend fuhr sie fort: »Vielleicht ist es nicht richtig, was ich tue. Vielleicht gehört es sich nicht, daß ich... daß ich in der Küche... wo Ihre Frau...«
Ich schüttelte den Kopf.
»Sie war die wenigste Zeit in der Küche. Ich habe mich meistens selber um das Essen gekümmert.«
Ich ging mit ihr hinaus und zeigte ihr, wo der Tee stand, wo die Tassen und eine Teekanne.
Als Karin fertig war, nahmen wir alles ins Wohnzimmer und setzten uns.
Sie schenkte mir ein.
»Zucker?«
»Ja, bitte, zwei Löffel.«
Noch nie in meinem Leben hatte ich so stark das Gefühl gehabt, zu Hause zu sein. Richtig zu Hause. Langsam trank ich meinen Tee, dann sagte ich:
»Sie wissen, Fräulein Uhlmann, daß ich keine Trauer heucheln kann.«
»Ich weiß.«
»Schlimm genug, daß ich es nach außen hin tun muß. Meine Ehe war eine Hölle.«
»Ich habe das schon lange geahnt.«
»Nur Sie... oder auch die anderen in der Firma?«
»Ich glaube, nur ich.«
»Ich möchte mir Luft machen, ich möchte... ja, ich möchte das tun, was man sein Herz ausschütten nennt. Aber Sie werden verstehen, daß ich keine Klage gegen Hilda erheben will.«
»Das verstehe ich sehr gut.«
»Ich war sicherlich selber auch schuld daran, daß meine Ehe schief gegangen ist. «
Karin schwieg. Plötzlich hob sie den Kopf und schaute mich mit ihren guten, dunklen Augen fragend an.
»Warum haben Sie dreitausend Mark aus der Kasse genommen?«
Sekundenlang brachte ich kein Wort heraus. Dann stotterte ich:
»Ich... ich habe... Sie haben es gemerkt?«
»Ziemlich bald. Ich dachte, ich selbst hätte einen Fehler gemacht und fing an, diesen Fehler zu suchen. Da kam ich auf Ihre geänderten Belege.«
Ich stöhnte und stützte den Kopf in die Hände.
»Das
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