Mord in h-moll
hatten?
Und trotzdem erschien es mir weniger riskant, davon zu sprechen, als es zu verschweigen.
Erst in den Morgenstunden war meine langweilige und mühevolle Arbeit getan, die Tonbänder waren alle mit dem neuen Gerät bespielt. Ich ging zerschlagen ins Bett, stellte den Wecker und hatte das Gefühl, überhaupt nicht geschlafen zu haben, als er mich rasselnd aufscheuchte.
Dienstag, der 20. Oktober. Ich meldete mich zuerst beim Chef. Herr Holsten erhob sich hinter seinem kleinen Schreibtisch, was er noch nie getan hatte. Er kam mir sogar ein paar Schritte entgegen, streckte mir seine knöcherne Hand hin.
»Lieber Roeder, bitte nehmen Sie Platz.«
Ich spürte seine trockene Hand in meiner, dann setzten wir uns. Milde, fast behutsam fragte er:
»Wie geht es Ihnen, lieber Roeder?«
»Danke«, sagte ich. »Den Umständen entsprechend. Es geht schon wieder.«
»Ich hätte Ihnen gern noch länger Urlaub gegönnt. Aber ich bin froh, daß Sie wieder da sind. Wir können den Stuttgarter Termin nicht verschieben.«
»Ich weiß, Herr Holsten. Außerdem glaube ich, daß mir jetzt nichts so gut tun wird wie die Arbeit.«
Er nickte beifällig. Ich sah ihm direkt an, wie ich in seiner Achtung stieg.
»Ganz richtig. Arbeit bringt einen über vieles hinweg. Wann könnten Sie endgültig abreisen?«
»Jederzeit«, sagte ich. Das war entschieden zu vorschnell.
Ich sah es an seinen hochgezogenen Augenbrauen.
»Aber«, sagte er, »Sie werden hier doch noch einiges zu erledigen haben. Was haben Sie sich beispielswiese über Ihre Wohnung gedacht?«
»Ich... ich dachte, ich werde sie am besten möbliert vermieten.«
»Sehr vernünftig. Ich habe Fräulein Uhlmann beauftragt, für sich und für Sie Hotelzimmer zu bestellen. Für die erste Zeit wird das genügen. Dann können Sie sich in Ruhe nach einer entsprechenden Wohnung umsehen, und dann ist es immer noch Zeit, Ihre Sachen, die Sie behalten wollen, nachkommen zu lassen. Den Transport übernehmen selbstverständlich wir.«
Das zu betonen sah ihm wieder einmal ähnlich. Als ob ich jemals auf den Gedanken gekommen wäre, den Transport zu bezahlen, nachdem ich in einer Transportfirma arbeitete!
»Vielen Dank«, sagte ich.
»Ja, natürlich tun wir das. Und die Kosten für das Hotelzimmer tragen wir auch. Für die Verpflegung allerdings müssen Sie selbst auf kommen.«
»Selbstverständlich, Herr Holsten.«
»Sie können über die Firma ein Inserat wegen Ihrer Wohnung aufgeben. Am besten noch heute. Es wäre mir nämlich sehr lieb, wenn Sie Mitte nächster Woche dort sein könnten.«
»Das kann ich ohne weiteres, Herr Holsten.«
»Gut«, sagte er, dann reichte er mir ein umfangreiches Schriftstück. »Hier ist Ihre Arbeitsanweisung. Fräulein Uhlmann hat auch ein Exemplar davon bekommen. Am besten besprechen Sie sich mit ihr. Sollten noch Unklarheiten herrschen, bin ich jederzeit zu erreichen. Ich wünsche, daß Sie sich an diese Anweisung halten, die Ihnen zwar weitgehende Selbständigkeit einräumt, aber doch eben nur innerhalb der von mir gezogenen Grenzen.«
»Ich werde das genau durchstudieren.«
»Ja, tun Sie das bitte.« Und dann stellte er mir eine Frage, die mich beinahe umgeworfen hätte, so ungewöhnlich kam sie mir vor. Er fragte: »Brauchen Sie einen Vorschuß, Herr Roeder?«
Ich hätte ihn ganz gut brauchen können, aber mir war blitzschnell eine Idee gekommen.
»Nein, vielen Dank, Herr Holsten«, sagte ich. »Ich habe genug auf der hohen Kante liegen.«
Wenn es möglich gewesen wäre, hätte ich bei ihm jetzt einen noch größeren Stein im Brett. Er stand lächelnd auf, reichte mir wieder die Hand und sagte:
»Ich freue mich, daß ich Ihnen diese große Chance geben konnte. Ich bin überzeugt, Herr Roeder, daß ich keinen Würdigeren gefunden hätte. Sie werden mich nicht enttäuschen.«
»Bestimmt nicht«, murmelte ich und verließ erleichtert das Büro des Alten. Ich würde mir auf meine Wohnung eine größere Mietvorauszahlung geben lassen.
Mein nächster Weg führte mich zur Buchhaltung, in Karin Uhlmanns Büro. Sie saß an der Buchungsmaschine mit dem breiten Wagen und schaute erst auf, als ich neben ihr stand. Dann aber stand sie auf, und ihr Lächeln verriet mir, daß sie sich wirklich freute.
»Herr Roeder!« Sie musterte mich, und ihr Lächeln verschwand. Herzliche Besorgnis stand deutlich in ihren Augen. »Fühlen Sie sich nicht wohl? Sie sind so blaß.«
Fühlte ich mich wohl? Ich glaube, erst jetzt, seit ich neben Karin
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