Mord in h-moll
seinem Verhältnis mit meiner Frau und von seiner Absicht, mich zu erpressen?
Wieder sah ich das ganze so sorgfältig aufgebaute Gebäude wegen eines dummen Zufalls zusammenbrechen. Und wieder überlegte ich mir, ob es nicht am sichersten sei, sofort nach der Auszahlung der Versicherungssumme zu fliehen, irgendwo im Ausland unterzukriechen.
Vor allem aber mußte ich feststellen, was sich bis heute in der Praxis Dr. Mertens’ getan hatte.
Als ich klingelte, war ich fest davon überzeugt, daß mir niemand öffnen würde. Aber die Tür ging auf, und ein junges Mädchen stand vor mir.
Ich war so überrascht, daß ich zuerst keine Worte fand und albern herumstotterte.
»Ich… verzeihen Sie, ich möchte... ich wollte eigentlich zu Herrn Dr. Mertens.«
Das Mädchen lächelte mich nachsichtig an.
»Bitte, treten Sie ein.«
Sonderbar, im Wartezimmer saßen noch zwei Personen, ein Mann und eine Frau.
Na ja, dachte ich, vielleicht sind das Fälle, die auch von der Sprechstundenhilfe erledigt werden können. Den Hals pinseln oder einen frischen Verband anlegen.
Ich mußte etwa eine Viertelstunde warten, und meine Spannung wurde allmählich zur Qual. Endlich rief mich das Mädchen auf.
Ich betrat das Sprechzimmer. Ein Mann im weißen Mantel stand hinter seinem Schreibtisch. Er war etwa sechzig Jahre alt, sah überaus gepflegt aus und musterte mich durch die dicken Gläser einer breiten, schwarzen Hornbrille.
»Bitte schön«, sagte er mit einer tiefen, weichen Stimme, deren schwäbischer Einschlag nicht zu überhören war. »Bitte nehmen Sie Platz, Herr... Herr...«
»Roeder«, stammelte ich. »Mein Name ist Stefan Roeder.«
»Und wo fehlt’s denn?«
Sie sind doch tot, hätte ich beinahe gesagt, Herrgott nochmal, Sie müssen doch tot sein!
Und dann war mir klar, daß dieser Arzt eine ganz andere Stimme hatte als der Tote, als der Erpresser, dessen ewiges »nicht wahr« mich zur Raserei gebracht hatte.
»Ich... ich wollte nur einmal... wissen Sie, die Sache ist nämlich... meine Frau war bei Ihnen, glaube ich.«
Er zog die buschigen Augenbrauen zusammen.
»Ihre Frau? Moment mal.«
Er blättere in einer Kartei, nahm eine Karte heraus und sagte:
»Ja, ganz recht. Frau Hilda Roeder.«
»Haben Sie sie... nach Davos geschickt?«
»Ich? Nach Davos?« Er lächelte. »Nein, bestimmt nicht. Nach der Karte hat es sich um eine ganz leichte Bronchitis gehandelt.« Er zwinkerte ein wenig mit den Augen, kaum merklich. »Will sie denn gern nach Davos?«
»Ich... ja, ach glaube, sie sagte etwas davon.«
Dr. Mertens lachte.
»Wissen Sie was, Herr Roeder? Wenn es Ihnen möglich ist, dann tun Sie ihr den Gefallen. Und fahren Sie mit, Herr Roeder. Sie sehen ganz so aus, als ob auch Ihnen ein netter Urlaub nicht schaden könnte. Gerade jetzt zwischen den Hauptrummelzeiten ist Davos herrlich.«
»Ja«, murmelte ich. »Davon habe ich schon gehört. Vielen Dank, Herr Doktor.«
Er reichte mir die Hand.
»Keine Ursache, Herr Roeder. Grüßen Sie Ihre Gattin und — erzählen Sie ihr lieber nicht, daß Sie bei mir gewesen sind. Frauen lieben das nicht.«
Ich stolperte wortlos hinaus.
Das also war Dr. Mertens. Und der Mensch, den ich getötet hatte, hieß womöglich wirklich Carl Weynert? Ein Carl Weynert war der Geliebte meiner Frau gewesen?
Eigentlich, dachte ich, kann mir nun alles egal sein. Hilda ist beerdigt. Es hat nicht den leisesten Verdacht gegen mich gegeben. Es war überhaupt kein Verdacht entstanden. Was ich schon immer sagte: einen Mord muß man so begehen, daß kein Verdacht entsteht. Es war mir gelungen, ich hatte den perfekten Mord begangen!
Damals war mir noch nicht aufgefallen, daß ich vergessen hatte, die Pistole aus dem Heizungskeller zu entfernen.
6
Es war halb elf Uhr, als ich fröstelnd auf der Straße stand. Mein Besuch bei Dr. Mertens hatte mich zwar beruhigt, denn der plötzliche Tod eines Arztes in Davos hätte vermutlich doch einigen Staub aufgewirbelt. Wie aber war das mit Carl Weynert?
Eine trübe Sonne kämpfte sich durch den herbstlichen Morgendunst, es war kalt, und die Gullys auf der Straße dampften. Ich suchte einen Raum, in dem ich mich aufwärmen konnte und betrat zum erstenmal in meinem Leben einen Stehausschank.
Hier war es mehr als warm. Ein paar finstere Figuren lehnten an der Theke, hinter der eine schlampige Person bediente.
»Was wünschen der Herr?«
Man glotzte mich an. Ich gehörte nicht hierher.
»Einen Kognak, bitte.«
»Deutsch oder französisch?«
Ich mußte
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