Mord in h-moll
triumphierend sagen. »Nun wissen Sie nicht mehr weiter. Wir werden uns schon noch einig. Sie geben also zu, Herrn Weynert nachgefahren, ihn sozusagen verfolgt zu haben?«
»Nein!« rief ich. »Nein, zum Teufel das ist nicht wahr. Es muß — es muß ein Zufall sein, von dem ich bis jetzt keine Ahnung hatte. Außerdem...« ich wurde wieder ruhiger, weil mir ein sehr gutes Argument eingefallen war, »außerdem können Sie mir wohl kaum ein vernünftiges Motiv nennen, weshalb ich diesem Herrn Weynert nachgefahren sein sollte.«
Er lächelte. Es war ein bösartiges, hinterhältiges Lächeln.
»Oh doch, Herr Roeder. Sehen Sie einmal, wir wollen Sie gar nicht unter allen Umständen belasten, wir wollen Sie nicht mit Gewalt lebenslänglich ins Zuchthaus bringen. Wir wollen doch nur die Wahrheit feststellen. Es ist uns bekannt, daß Sie eine ausgesprochen glückliche Ehe geführt haben. Irre ich mich da?«
Diese teuflischen Augen! Was bezweckte er mit dieser Frage? Eine neue Falle?
Vorsichtig sagte ich:
»Na, ja, was man eben so glücklich nennt.«
»Sie brauchen nicht bescheiden zu sein. Sämtliche Hausbewohner haben es uns bestätigt, daß Ihre Ehe sehr glücklich gewesen ist.«
»Also gut, wir waren ganz glücklich miteinander. Aber was hat das mit dem Tode Carl Weynerts zu tun?«
»Sehr viel, Herr Roeder. Sie haben nämlich nach dem tragischen Tod Ihrer Frau herausbekommen, daß Weynert ein Verhältnis mit ihr hatte. Bei plötzlichen Unfällen macht man manchmal solche traurigen Entdeckungen. Auf alle Fälle war das ein harter Schlag für Sie, Herr Roeder, ein Schlag, mit dem Sie nicht fertig geworden sind, der Ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Sie dachten an nichts anderes, als ihre gekränkte Ehre wieder herzustellen. Sie wollten dem Lumpen die Schmach heimzahlen, und deshalb haben Sie sich an seine Fersen geheftet. Eine menschlich durchaus verständliche Reaktion. Zunächst wenigstens. Geben Sie doch zu, Herr Roeder, die Geschworenen werden bestimmt Verständnis für Sie haben. Geben Sie zu, daß Sie ihm nachgefahren sind.«
Mein Gott, jetzt spürte ich die Schlinge, in der ich mich unrettbar verfangen würde! Und ich konnte mich nicht dagegen wehren, ohne meinen Mord an Hilda zu gestehen!
»Bitte«, sagte ich mit trockenem Mund, »bitte... ich möchte keine Aussage mehr machen, ehe ich nicht mit meinem Anwalt gesprochen habe.«
8
Am Dienstag vormittag, also am nächsten Tag nach meiner ersten Vernehmung durch die Kriminalpolizei, wurde ich aus meiner Zelle geholt und in das Sprechzimmer geführt. Ein kleiner Raum mit zwei vergitterten Fenstern, einem langen Tisch in der Mitte des Raumes, und zwei Holzstühlen.
Ein mittelgroßer Herr schien auf mich gewartet zu haben. Er nickte dem Polizeibeamten, der mich hergebracht hatte, kurz zu; dann ließ uns der Beamte allein.
Der Herr mit den glatt gekämmten blonden Haaren streckte mir die Hand hin.
»Guten Tag, Herr Roeder. Ich bin Dr. Herrmann. Fräulein Uhlmann hat mich von...«, ein ganz leises Lächeln umspielte seinen Mund, »... von Ihrem Pech verständigt. Aber setzen wir uns doch. Rauchen Sie?«
Er gab mir seine Zigaretten über den Tisch.
»Bitte, bedienen Sie sich, Fräulein Uhlmann wünscht, daß ich mich um Sie kümmere, wenn nötig auch Ihre Verteidigung übernehme. Wären Sie damit einverstanden?«
»Selbstverständlich.« Ich rauchte in tiefen, hastigen Zügen. »Selbstverständlich, Herr Doktor. Es war entsetzlich, diese letzten Tage. Schon allein, daß Sie hier sind, macht alles viel leichter.«
Er nickte mir nur kurz zu, dann öffnete er seine Aktentasche aus gelbem Schweinsleder, holte einen Hefter mit Papieren heraus und schaute mich dann an. Seine Augen waren klar, sehr nüchtern. Ich hatte von ihm den Eindruck, daß er persönliche Gefühle sehr wohl zu verbergen verstand.
»Ehe ich mich endgültig äußere, möchte ich Ihre Geschichte hören«, sagte er. »Meine Kenntnisse sind vorerst nicht sehr groß, die Staatsanwaltschaft will jetzt noch nicht so recht mit der Sprache herausrücken. Also was haben Sie der Polizei bis jetzt erzählt?«
»Alles so, wie es war«, sagte ich. Und im gleichen Augenblick erkannte ich, daß mir dieser Anwalt nicht würde helfen können. Der beste Anwalt der Welt konnte mir nicht helfen, denn ich durfte ihm die Wahrheit ja nicht sagen. Ich mußte die einmal erfundene Version von einem Unfall in Davos aufrecht erhalten, und das außerdem noch besonders vorsichtig, um keinen Gedanken an
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