Mord in h-moll
dadurch allen Unannehmlichkeiten zu entgehen.«
»Ja«, sagte der Richter und rieb sich seine großen Hände, »Ja, Herr Roeder, und nun ist es genau umgekehrt gekommen. Aber nun schildern Sie mal in Ruhe und ausführlich, wie dort in Davos alles verlaufen ist. Hat sich Herr Weynert an Sie herangemacht?«
Ich redete, redete wie ein Buch. Ich schilderte alles so, wie ich dachte, daß es am ungefährlichsten sein würde.
Als ich geendet hatte, fragte der Richter den Staatsanwalt:
»Noch irgendwelche Fragen an den Angeklagten?«
Wie eine Feder schnellte der kleine Mann hoch.
»Jawohl, ich habe eine Frage. Angeklagter, nehmen Sie im Ernst an, daß das Gericht Ihnen dieses Märchen glaubt? Oder ist vielleicht Ihr Verteidiger...«
Dr. Herrmann war nun aufgesprungen.
»Ich protestiere. Diese Ansichten kann der Herr Staatsanwalt in sein Plädoyer auf nehmen, aber sie gehörten nicht zur Vernehmung.«
Der Richter hob beide Hände.
»Aber bitte, meine Herren, beruhigen Sie sich doch. Wir sind doch alle nur bemüht, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Noch weitere Fragen?«
»Keine«, sagte Dr. Herrmann.
»Vorerst keine«, brummte der Staatsanwalt.
»Dann gehen Sie auf Ihren Platz zurück, Angeklagter. Das Gericht läßt eine Pause von einer Stunde eintreten, anschließend beginnen wir mit der Einvernahme der Zeugen.
Ich wurde hinausgeführt und in eine Zelle gesperrt. Nach etwa fünf Minuten erschien, begleitet von einem Polizisten, Dr. Herrmann. Ich überfiel ihn sofort mit meiner Frage: »Wie steht es? War es richtig, wie ich geantwortet habe?«
»Ich denke schon. Nun wird viel von den Zeugenaussagen abhängen. Was ich aber der Ordnung halber sagen wollte: eine große Illustrierte hat mir zwanzigtausend Mark dafür angeboten, wenn Sie Ihre Geschichte exklusiv veröffentlichen darf. Wünschen Sie, daß ich zusage?«
Er schaute mich erwartungsvoll an.
»Was soll ich tun?« fragte ich »Zwanzigtausend Mark sind viel Geld, und an meiner Geschichte ist doch eigentlich nichts Unehrenhaftes, oder?«
»Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Außerdem...«
»Nein«, unterbrach ich ihn. »Ich bin nicht der Mensch, der mit so was Reklame für sich macht. Sagen Sie der Illustrierten ab.«
Jetzt lächelte er.
»Außerdem hat das Blatt nur Interesse an Ihrer Geschichte, wenn Sie für schuldig befunden und verurteilt werden.«
Ich überlegte einen Augenblick, dann sagte ich:
»Das ändert die Sachlage, Herr Doktor. Wenn mir wirklich diese Ungerechtigkeit widerfahren sollte, dann akzeptiere ich dieses Angebot.«
Ich sah, wie er die Augenbrauen hochzog und fuhr rasch fort: »Dann muß der Vertrag aber die Bestimmung enthalten, daß die ganze Summe einem Waisenhaus zur Verfügung gestellt wird.«
»Gut«, sagte er. »Ich werde das in diesem Sinne erledigen.«
Als ich allein war, dachte ich über dieses mein Verhalten nach. Hatte ich das aus Effekthascherei gesagt? Nein, es war mir ernst damit. Wenn ich Pech haben würde, wenn man mich wirklich wegen meines Verbrechens verurteilte, dann sollte wenigstens jemand etwas davon haben...
Um vierzehn Uhr wurde die Verhandlung fortgesetzt, und wenige Minuten später wurde der erste Zeuge aufgerufen.
»Der Zeuge Friedrich Holsten!«
Nanu? Was wollte man denn von meinem Chef? Was konnte er über mich aussagen? War meine Unterschlagung doch herausgekommen? Sollte das ein schlechtes Licht auf mich werfen?
Plötzlich war ich kein unbeteiligter Zuschauer mehr. Es ging um meinen Kopf...
Der Alte kam herein und vermied es peinlich, einen Blick in meine Richtung zu werfen. Auch er wurde zu seinen Personalien vernommen, und dann sagte der Richter:
»Herr Holsten! Aus dem mir vorliegenden Schriftstück geht hervor, daß Sie etwa acht Jahre lang der Chef des Angeklagten gewesen sind. Stimmt das?«
»Jawohl, das stimmt.«
»Das Gericht muß sich bemühen, die Wahrheit zu finden.
Dazu gehört nicht zuletzt der Gesamteindruck, den sich das Gericht von der Person des Angeklagten macht. Was können Sie uns über Ihren ehemaligen Angestellten Stefan Roeder berichten?«
Wieso sagte er denn »ehemaligen«? Hatte mich Holsten etwa an die Luft gesetzt?
Friedrich Holsten räusperte sich, dann sagte er:
»Herr Roeder hatte mein vollstes Vertrauen. Das war auch der Grund, weshalb ich ihn mit der Leitung meiner Filiale in Stuttgart betraute. Bis zur Inhaftierung des Herrn Roeder war mir über ihn nichts Nachteiliges bekannt.«
»Nichts Nachteiliges«, wiederholte der Richter. »Er
Weitere Kostenlose Bücher