Mord in h-moll
Geschworenen eingeben, damit es zu einem Freispruch kam.
Daß die Justiz nicht gerade besonders schnell arbeitet, war mir bekannt gewesen. Daß sie aber derartig herumtrödelte, in einem jetzt doch ganz klaren Fall, das hatte ich nicht erwartet. Mein eintöniges Leben wurde zwar hin und wieder durch Dr. Herrmanns Besuche unterbrochen, und jedesmal vergaß er seine volle Packung Zigaretten bei mir, aber trotzdem wurde ich allmählich immer nervöser. Endlich, Anfang März, konnte er mir den Verhandlungstermin sagen.
Am 30. März, einem sonnigen Mittwoch, wurde ich von zwei Polizeibeamten zum Sitzungssaal geführt. Reporter mit ihren Blitzlichtern lauerten in den Gängen, und ich versuchte, mein Gesicht zu verbergen, so gut es ging. Wie oft in meinem Leben hatte ich in der Presse solche Fotos gesehen, und wie wenig hatte ich mir immer dabei gedacht...
Dr. Herrmann hatte mir jedesmal Grüße von Karin mitgebracht, aber es war ihm nicht gelungen, Besuchserlaubnis für sie zu erwirken. Wie lange hatte ich sie nicht mehr gesehen!
Und kurz vor der Verhandlung hatte ich meinem Anwalt gesagt, es sei mir lieber, wenn ich Karin nicht in der Verhandlung wüßte. Trotzdem schaute ich jetzt eifrig nach ihr aus. Hätte ich mich darüber gefreut, wenn sie entgegen meiner Bitte doch gekommen wäre?
Sie war nicht da. Auch im Sitzungssaal, der voller Neugieriger war, konnte ich sie nicht entdecken. Dafür hörte ich das laute Raunen der Zuschauer, als ich hineingeführt wurde. Man schob mich in eine Bank, die beiden Polizisten setzten sich neben mich.
Und dann kam das Gericht. Nach der kurzen Einleitung wurde ich vor den Richtertisch gerufen. Meine Personalien wurden festgestellt, und dann wurde mir die Anklage verlesen. Sie lautete auf Mord an dem Reisevertreter Carl Weynert.
Fast kam mir das Ganze wie ein Theater vor, bei dem ich ein unbeteiligter Zuschauer war. Natürlich interessierte mich das Spiel zwischen meinem Verteidiger und dem Gericht, das nun beginnen würde. Aber ich zweifelte keinen Augenblick mehr daran, daß alles doch nur noch eine Formsache sein würde, die mit einem Freispruch enden mußte. Ich versuchte mir schon auszurechnen, wann ich zu Karin nach Stuttgart fahren und ihr die Freudenbotschaft bringen konnte.
»So«, schreckte mich der Richter plötzlich aus meinen Gedanken auf. »So, Angeklagter, Sie haben gehört, was Ihnen zur Last gelegt wird?«
»Jawohl, Herr Richter.«
»Was haben Sie dazu zu sagen? Bekennen Sie sich schuldig, den Reisevertreter Carl Weynert in Davos vorsätzlich ermordet zu haben?«
»Nein. Ich habe ihn nicht ermordet.«
»Dann erzählen Sie einmal der Reihe nach. Sie sind also angeblich in Urlaub gefahren? Warum ausgerechnet nach Davos?«
»Ich hätte genauso woanders hinfahren können. Ich dachte aber, daß es in der Zwischensaison nicht so teuer sein würde, und die Schweiz wollte ich schon längst kennenlernen.«
Der Richter nickte. Er war ein älterer Herr und gab sich offenbar Mühe, alles Menschliche zu verstehen, jedenfalls tat er so.
Ich berichtete oder wollte vielmehr anfangen zu berichten, als mich der Richter nochmals unterbrach.
»Herr Roeder, dem Gericht liegen zweierlei Aussagen vor, die sehr voneinander abweichen. Bei Ihrer Einvernahme durch die Kriminalpolizei haben Sie angegeben, Sie hätten Carl Weynert nicht gekannt, und es sei nur zu einem freundschaftlichen Besuch auf Ihrem Hotelzimmer gekommen. Nun aber hat Ihr Verteidiger einen Schriftsatz eingereicht, in dem Sie plötzlich behaupten, Herr Weynert habe versucht, Sie zu erpressen. Zu welcher Version wollen Sie nun stehen?«
»Zu dieser letzten, Herr Richter, weil sie der Wahrheit entspricht.«
»Und warum haben Sie der Polizei zunächst eine völlig andere Erklärung abgegeben?«
»So ganz anders war sie nicht, Herr Richter. Ich bleibe nach wie vor dabei, daß ich Carl Weynert nicht nachgefahren bin. Lediglich dort, in Davos, hat es sich anders zugetragen, als ich es ursprünglich angegeben habe.«
»Und warum machten Sie diese falschen Angaben? Warum haben Sie der Polizei nicht gleich gesagt, daß Sie erpreßt worden sind?«
»Weil ich... ich dachte, man würde mir dann erst recht Schwierigkeiten machen. Man würde sofort behaupten, ich hätte Weynert umgebracht, um den Erpresser los zu sein.«
Ganz menschliches Verstehen da droben am Richtertisch. Ein alter Herr voll Milde und Güte.
»Sie hatten also einfach Angst, falsch beschuldigt zu werden?«
»Ja, deshalb log ich. Ich hatte gehofft,
Weitere Kostenlose Bücher