Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mord in Londinium

Titel: Mord in Londinium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
Vom Netzwerk:
zurückgelassen hatte.« Albia hielt inne, gestand dann beschämt: »Er sagte was zu mir, weil ich weinte.«
    Ich räusperte mich. »Das war meine Schuld. Ich war verärgert. Albia hat wohl gedacht, ich würde sie da sitzen lassen und nicht wiederkommen.«
    »Aber du wärst natürlich zurückgekommen«, sagte Helena, mehr um das Mädchen zu beruhigen, als meine ehrlichen Absichten zu loben.
    »Vielleicht kannte sie mich nicht gut genug, um dessen sicher zu sein.«
    »Also sah Albia wie ein unglückliches junges Mädchen aus, das von zu Hause weggelaufen war.«
    »Der Mann fragte mich das«, warf Albia heftig ein. »Ich sagte ihm, ich hätte kein Zuhause.«
    Helena schürzte die Lippen. Starke Gefühle setzten ihr zu. »Gut, dann lass uns eines klarstellen: Ich biete dir ein Zuhause an, wenn du es haben willst, Albia.«
    Tränen stiegen in die blauen Augen des Mädchens. Petronius gab mir einen Rippenstoß, aber ich beachtete ihn nicht. Helena und ich hatten keine private Diskussion über dieses Thema geführt. Ein wildes Kind mit nach Rom zu nehmen und unsere Töchter diesem unbekannten Einfluss auszusetzen erforderte einiges Nachdenken. Selbst die impulsive Helena Justina war eine Verfechterin des traditionellen Familienrats. Doch jede römische Matrone weiß, dass häusliche Beratungen von unseren Vormüttern nur dazu erdacht worden sind, die Ansichten der Matrone des Haushalts durchzusetzen.
    Ich wandte nichts dagegen ein. Ich wusste, wie man sich als patriarchaler Römer zu verhalten hat.
    Helena beugte sich zu dem Mädchen. »Erzähl mir, was passiert ist, nachdem du mit Florius zur ›Alten Nachbarin‹ gegangen bist.«
    Ein langes Schweigen trat ein. Dann sagte Albia mit überraschend kräftiger Stimme: »Die dicke Frau hat mir gesagt, ich müsse für sie arbeiten. Ich dachte, ich würde nie zu dir und Marcus Didius zurückkommen. Ich dachte, ich müsste tun, was sie sagten.«
    Helena gelang es, ihren Zorn zu unterdrücken, aber ich sah, wie sich die Muskeln um ihren Mund anspannten. »Und was war mit dem Mann?«
    »Er hat mich gezwungen, das zu tun, was man tun muss.« Helena hielt das Mädchen jetzt in den Armen, halb von mir abgewandt. Petronius umschlang seine Hände, damit er nicht irgendwas zertrümmerte. Ich legte Helena die Hand auf den Rücken.
    »Kanntest du dich damit bereits aus, Albia?«, murmelte sie.
    »Ich wusste, was die Leute machen.«
    »Aber dir war das noch nicht passiert?«
    »Nein.« Das Mädchen begann plötzlich zu weinen. Tränen fielen fast ohne Schluchzer. Ihr Kummer und ihre Trostlosigkeit waren herzzerreißend. »Ich bin schuld daran …«
    »Nein. Das darfst du niemals glauben!«, rief Helena. »Ich kann das, was dir angetan worden ist, nicht ändern, aber du bist jetzt bei uns in Sicherheit. Ich werde dir helfen, diese Geschichte dem Statthalter zu erzählen. Dann können der Mann und die alte Frau davon abgehalten werden, anderen Mädchen wie dir wehzutun. Du weißt dann – und das hilft dir vielleicht, Albia –, dass du dich gegen ihn gewehrt hast. Gegen ihn und andere seiner Art.« Nach einem Augenblick fügte Helena mit harter Stimme hinzu: »Nicht alle Männer sind so, das kann ich dir versichern.«
    Albia schaute auf. Sie blickte von Helena zu mir.
    »Männer und Frauen können glücklich zusammen sein«, sagte Helena. »Vergiss das nie.«
    Albia hielt den Blick auf mich gerichtet. Es war das längste Gespräch, das jemand von uns bisher mit ihr geführt hatte, daher war das, was als Nächstes kam, verständlich. Sie musste die meiste Zeit während ihres Zusammenseins mit uns darüber nachgegrübelt haben: »Du findest Menschen. Wirst du auch meine Familie finden?«
    Das ist immer die schmerzlichste Frage, die man einem Privatermittler stellen kann. Entweder kann man die Vermissten nicht aufspüren und hat auch nie eine Chance dazu gehabt, oder man findet sie, und alles geht schrecklich schief. Ein gutes Ergebnis war mir noch nie untergekommen. Ich weigerte mich inzwischen, solche Aufträge von Klienten anzunehmen.
    »Ich kann dir nur die Wahrheit sagen, Albia. Ich glaube nicht, dass ich das schaffen kann«, sagte ich.
    Sie stieß einen Protestschrei aus.
    Ich brachte sie zum Schweigen und fuhr mit gleichmäßiger Stimme fort: »Ich habe mir Gedanken darüber gemacht. Ich glaube, dass deine gesamte Familie bei den Kämpfen und der Feuersbrunst während Königin Boudiccas Angriff auf Londinium umgekommen ist. Damals musst du noch ein Säugling gewesen sein. Wenn jemand

Weitere Kostenlose Bücher