Mord in Londinium
überlebt hätte, dann hätte man nach dir gesucht.« Was vermutlich stimmte. Falls sie geflohen waren und den Säugling einfach zurückgelassen hatten, sollte Albia das besser nicht erfahren.
»Sie konnten sich nicht retten, Albia«, sagte Helena. »Schenk ihnen deine Liebe – aber du musst sie gehen lassen. Wenn du mit uns kommen willst, werden wir dich weit von hier fortbringen, und du kannst alles vergessen, was bis dahin passiert ist.«
Ihre Worte machten wenig Eindruck. Albia war an einem absoluten Tiefpunkt.
Petronius und ich überließen es Helena, sich so gut sie konnte um das Mädchen zu kümmern. Wir gingen zur Tür und schauten in den strömenden Regen hinaus. Petro hüpfte auf einem Fuß, schnürte sich den Stiefel wieder zu.
»Sie wird Narben fürs Leben davontragen. Du wirst eine Menge zu tun haben, wenn du sie retten willst.«
»Ich weiß!« Und das sogar, wenn Florius ihr keine Krankheit angehängt oder sie geschwängert hatte. Nur die Zeit würde uns das zeigen, Helena würde das Mädchen sorgfältig und taktvoll unter Beobachtung halten müssen.
Petronius Longus war jetzt in Schweigen verfallen. Ich hatte meinen eigenen Kummer, mit dem ich fertig werden musste. Petro, das wusste ich, dachte daran, dass er Florius irgendwie, irgendwo schnappen würde.
XLVI
Plötzlich hörte der Sturm auf.
Der Wirt oder Kellner kam heraus und blickte zu dem sich aufhellenden Himmel hinauf. Er war nicht der Mann, den ich in Erinnerung hatte. Das war ein kahlköpfiger Gallier in einer blauen Tunika mit einem dämlichen Gürtel gewesen, gelassen und professionell. Der hier war ein drahtiger Rotzlöffel, der Ewigkeiten gebraucht hatte, um uns zu bedienen, und sich offenbar mit den Vorräten nicht auskannte.
Diese Personalveränderung hatte mich beunruhigt. Ich hatte darauf gewartet, dass mein Bekannter wieder auftauchte, aber das würde nicht geschehen. Er hatte mir zwar nicht gefallen, doch der Gedanke, dass dieser unfähige Knilch ihn verdrängt hatte, hinterließ bei mir einen schlechten Geschmack. Ich zwang mich, Notiz davon zu nehmen. »Als ich das letzte Mal hier war, hat jemand anders bedient.«
Der Blick des Mannes verschleierte sich leicht. »Er ist gegangen.«
»Wanderlust?« Das war nicht der Eindruck, den ich damals gewonnen hatte. Dieser andere Mann, der mir geholfen hatte, Silvanus wieder nüchtern zu machen, war nach Britannien gekommen, um Erfolg zu haben. Er schien sich in der Soldatenschenke etabliert zu haben, darauf eingerichtet, lange Zeit hier zu bleiben. Wo war er also jetzt? Wer hatte ihn vertrieben?
Der neue Mann zuckte die Schultern. In dem Moment bemerkte ich, dass das alte Schild mit dem hakennasigen Generalskopf abgenommen worden war. Jemand war dabei, es zu übermalen.
»Ändert ihr den Namen? Wie nennt ihr euch jetzt?«
»Hab mich noch nicht entschieden«, wich er aus, als gefiele ihm mein prüfender Blick nicht. Da kapierte ich, was das alles bedeutete.
»Gibt jede Menge Auswahl«, gab ich grimmig zurück. »An einem Tag wie diesem wäre Donnerkeil doch bestens geeignet.«
»Stimmt«, mischte sich Petronius, der ebenfalls begriffen hatte, mit drohender Stimme ein. »Alles, was mit Jupiter zu tun hat, ist immer beliebt.« Zu mir gewandt, fügte er mit leisem Murmeln hinzu: »Wenn sie sich so weit nördlich über die Stadt ausgebreitet haben, muss Frontinus das in Betracht ziehen!«
Falls es sich wirklich um den neuen, von der Florius-Bande eingesetzten Pächter handelte, wusste er jetzt, dass wir hinter die Übernahme gekommen waren, aber er bedachte uns nur mit einem verächtlichen Blick.
Ich rief Helena zu, dass wir gehen sollten. Ihr war kalt und unwohl, und sie schlug daher vor, dass wir uns in den Bädern nebenan aufwärmen sollten. Wir hätten uns in die Residenz zurückschleppen können, wo es heißes Wasser und trockene Kleidung gab, aber wir waren alle zu durchgefroren, um uns diese Gelegenheit hier entgehen zu lassen. Es hatte auch nicht ausschließlich etwas mit Verwöhnen zu tun. Petronius und ich konnten planen, was wir als Nächstes unternehmen sollten.
Wir wateten die überflutete Straße entlang; die Abflüsse waren so voll, dass sie nichts mehr aufnehmen konnten. Alle schwiegen. Ich dachte bereits nach.
Florius würde nicht ins Bordell zurückkehren. Nicht, wenn er folgerte, dass Petronius das Haus beobachtet haben musste. Der Statthalter konnte gefahrlos eine Razzia durchführen und die alte Vettel verhaften, zusammen mit allen, die
Weitere Kostenlose Bücher