Mord in Londinium
entlang. »Setz dich«, murmelte Petro, dachte sicherlich, dass die erregt vor ihm stehende Maia zu auffällig sei. Ich meinte, ein Kratzen von den Beinen der Bank zu hören. Sie war seiner Aufforderung gefolgt.
Nachdem der Mann vorbeigegangen war, fragte Maia: »Wie lange weißt du es schon?« Die Akustik hatte sich verändert. Ich musste mich anstrengen, sie verstehen zu können. Sie war merkbar verstört, nachdem die Sache jetzt ausgesprochen war. »Hast du einen Brief bekommen?«
»Nein, es wurde mir gesagt.«
»Hat Marcus dich gefunden?«
»Ich hab ihn vorhin gesehen.« Petronius sprach in abgehackten Sätzen. »Hab ihm keine Chance gegeben. Vermutlich hat er mich deswegen gesucht.«
»Haben wir alle! Also, wer hat es dir erzählt?«
Petro gab einen kleinen Laut von sich, fast ein Lachen. »Zwei kleine Jungs.«
»O nein! Doch nicht etwa meine?« Maia war ärgerlich und beschämt. Mich überraschte es nicht. Ihre Kinder hatten sich Sorgen gemacht, wo ihr Held war; sie wussten von der Tragödie, waren keine Stubenhocker und durchaus in der Lage, unabhängig zu agieren. Petronius schwieg. Schließlich sagte Maia reumütig: »Und ich hatte ihnen doch gesagt, sie sollen dich in Ruhe lassen … Oh, es tut mir so Leid!«
»Sie haben mich voll erwischt …« Petronius klang distanziert, als er zu reden begann, in der Art des Hinterbliebenen, der berichten muss, wie er von der schrecklichen Nachricht erfahren hat. »Ich hatte Marius bereits entdeckt. Er saß auf einem Randstein und wirkte traurig. Ancus hatte sich wohl von ihm entfernt und sah mich …«
»Ancus? Ancus hat es dir erzählt?«
Petros Stimme wurde sanfter, wenn auch nicht viel. »Bevor ich ihn anknurren konnte zu verschwinden, kam er zu mir gerannt. Ich dachte, er freute sich nur, mich zu sehen. Als er dann auf die Bank kletterte, legte ich den Arm um ihn. Er stand da und flüsterte es mir ins Ohr.«
Maia gab einen erstickten Laut von sich. Ich war ebenfalls erschüttert. Ancus war erst sechs. Und Petronius konnte keine Ahnung gehabt haben, was da auf ihn zukam. »Du hättest es nie von den Kindern hören sollen.«
»Was ändert das schon?«, krächzte Petronius. »Zwei meiner Töchter sind tot! Ich musste es erfahren.«
Maia gab ihm Zeit, sich zu beruhigen. Sie, genau wie ich, musste sich wohl fragen, mit was der kleine Ancus herausgeplatzt war, denn sie sorgte dafür, dass Petro die Einzelheiten richtig mitgeteilt wurden. »Also, das sind die Tatsachen: Du hast zwei verloren; dummerweise stand in dem Brief nicht, welche. Man versucht das für dich herauszufinden. Windpocken. Ich schätze, es ist passiert, kurz nachdem du Italien verlassen hast. Auch das stand nicht in dem Brief.«
»Ich muss mich angesteckt haben, als ich mich von ihnen verabschiedete. Dann habe ich deine angesteckt«, gab Petronius zu. »Ich geb mir die Schuld daran …«
»Sie haben es überlebt.«
» Ich habe es überlebt.« Er war nicht der Typ zu sagen, er wünschte sich, stattdessen gestorben zu sein, aber es kam dem nahe. »Nur um damit leben zu müssen!«
»Das wirst du, Lucius. Aber glaub mir, es ist hart.« Meine Schwester, die wie die meisten Mütter eines ihrer Kinder hatte sterben sehen, sprach in bitterem Ton. Beide schwiegen, dann wiederholte Maia: »Es tut mir Leid wegen der Jungs.«
»Das war schon in Ordnung.« Petronius war nicht an ihrer Entschuldigung interessiert. »Ancus hat es mir gesagt, dann kam Marius, und sie haben sich rechts und links neben mich gesetzt und sind sehr still sitzen geblieben.« Nach einer Weile fügte er hinzu, zwang sich zu etwas mehr Freundlichkeit in der Stimme: »Und jetzt sitzt du hier still neben mir.«
»Ich habe meine erste Tochter verloren. Ich weiß, dass es nichts gibt, was ich sonst für dich tun kann.«
»Nein.« Selten hatte ich Petronius so niedergeschlagen gehört. »Nichts.«
Ein ziemlich langes Schweigen entstand.
»Soll ich gehen?«, fragte Maia.
»Willst du gehen?« Aus seinem feindseligen Ton schloss ich, dass Petro reglos dahockte und düster vor sich hinstarrte. Ich hatte keine Ahnung, was Maia machte. Ich hatte nie miterlebt, wie Maia Trauernde tröstete. Besonders jemanden, den sie zumindest für kurze Zeit in ihrem Bett hatte haben wollen. Das schien nicht mehr zuzutreffen – und doch hatte sie darauf bestanden, nach ihm zu suchen. Das war das alte Didius-Leiden: Sie fühlte sich verantwortlich. »Ich muss diesen Auftrag ausführen«, erklärte Petronius in höflichem, ausdruckslosem Ton. »Ich
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