Mord in Londinium
hatte.
Die Vorderseite des Hauses musste als Laden gedacht sein, aber die Falttüren im römischen Stil davor waren zugesperrt und verklemmt. Ich schaute durch einen Türbogen hinein. Der Laden war unbenutzt und diente nur als Lagerraum für Schutt und alte Pferdehaarmatratzen. Sämtliche Aktivitäten mussten sich oben abspielen. Vorsichtig bewegte ich mich durch einen Innengang auf eine schemenhaft erkennbare Treppe zu, die nach oben in die Dunkelheit führte. Der Boden bestand aus festgetretener Erde. Ich stieß gegen ein zerbrochenes Möbelstück. Teil eines Schrankes. Da ich langsam ging, konnte ich ihn auffangen, ohne dass es viel Krach machte, zog mir dabei allerdings einen Splitter in die rechte Handfläche ein. Oben musste es mindestens noch zwei Zimmer geben, wie es für Läden mit angeschlossener Wohnung üblich war. Obwohl ich horchte, konnte ich kein Gefühl dafür bekommen, wie viele Menschen im Haus waren.
Die Treppe war aus Holz. Während ich hinaufging, schwankte und knarrte sie, als sei das Haus am Verfallen. Dreck ließ dieses heruntergekommene Anwesen alt aussehen, aber es konnte nicht aus der Zeit vor der Rebellion stammen. Tolle Qualität: baufällig nach nur zehn Jahren. Das Dach war offenbar sehr niedrig; Hitze war den ganzen Tag ins Haus eingedrungen, und je weiter ich nach oben kam, desto stickiger wurde es. Der erste Dachbodenraum, den ich betrat, bildete eine Art Vorzimmer und wurde eindeutig für den Zweck gebraucht, den ich befürchtet hatte. Obwohl die Pritschen auf dem Boden leer waren, verriet ein schwacher, eindeutiger Geruch, was hier gespielt wurde. Ich stolperte über eine Lampe, natürlich unangezündet. Jeder, der seinen Bettgenossen näher betrachten wollte, würde zusätzlich dafür zahlen müssen. Ich wette, niemand machte sich die Mühe. Das einzige Licht kam über die Treppe herauf, Fenster gab es nicht.
Ich konnte kaum atmen. Hier wurden die Kunden mit Sicherheit schnell abgefertigt. Die Angelegenheit ein Bordell zu nennen wäre eine sprachliche Beleidigung gewesen. Es war eine miese Absteige, in die stinkende Straßenhuren ihre unterschiedslosen Freier brachten. Man hätte nicht sagen können, wer bei diesen grausigen Vereinigungen der Derbere war und wer wen am meisten betrog. Ich wusste, dass Gewalt im Spiel sein würde. Ich konnte mir vorstellen, dass es Todesfälle gegeben hatte. Ich musste beten, dass momentan kein Zuhälter hier schlief, mit einer Amphore im Arm und einem langen Messer neben sich. Er würde mich sehen, bevor ich ihn bemerkte.
Durch Tasten fand ich zwei Türen. Ich verdeutlichte mir, welche in das Zimmer mit dem Fenster führen musste, an dem ich Albia gesehen hatte. Die Tür war von außen verkeilt, sperrte das Mädchen ein. Das überraschte mich nicht.
Leise entfernte ich den Holzkeil, der die Tür verschloss. Noch vorsichtiger schob ich sie auf. Licht drang durch das Fenster herein, aber ich konnte kaum erkennen, wo Albia war. Sie hatte sich zu einem winzigen Ball zusammengerollt, obwohl sie wusste, dass ich auf dem Weg zu ihr war. Ich nahm an, dass sie mir vertraute, doch die Angst hatte sie gelähmt.
Ich stieß einen leisen Pfiff aus. »Komm. Du bist in Sicherheit. Mach schnell.« Es war wie die Befreiung eines eingesperrten Spatzen. Zuerst erstarrte sie, dann schoss sie auf das Licht zu. »Leise!«
Das Mädchen war direkt an mir vorbeigeflitzt, stürzte zwischen mir und dem Türpfosten hindurch. Sie rannte bereits die Treppe hinunter. Ich ließ sie gehen. Als ich ihr folgen wollte, flog die andere Tür auf. Plötzlich war mehr Licht da, eine gefährlich schwelende Lampe, hochgehalten von einer drei Fuß großen alten Vettel mit schlechtem Atem und einem bösartigen Knurren. Ich hielt sie für weiblich, kam mir aber wie ein Held vor, der eine abscheuliche mystische Bestie geweckt hat. »Was willst du?«
»Ich kam wegen einem Mädchen«, antwortete ich ihr ehrlich. Ich zog die Tür hinter mir zu, als sei Albia immer noch da drinnen. »Ich sah sie aus dem Fenster schauen.«
»Die nicht.«
»Ich mag sie jung.«
»Die nicht!«
»Warum nicht?«
»Die ist noch nicht ausgebildet.« Tja, das war wenigstens eine Erleichterung.
»Ich krieg das schon hin.«
»Ich hab Nein gesagt!«
Die alte Frau war grässlich. Ein rundes Mondgesicht, das wie von einem besoffenen Töpfer zusammengeklatscht aussah. Schwabbelige weiße Arme, unglaublich fetter Körper, schmierige graue Haare. Ihre dreckigen, platten Füße waren nackt. Sie war in Lagen
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