Mord in Oxford
sehen.
»Mein Sohn hat sie entdeckt«, sagte der Rektor und warf das Emaille-Döschen plötzlich hoch in die Luft, um es mit einer geschickten Handbewegung wieder aufzufangen. Die Geste kam Kate sehr vertraut vor. »Meistens bringt er es nicht fertig, meine Erwartungen zu erfüllen, aber in diesem Fall scheint er mein Anliegen erraten zu haben. Lebe , um zu sterben «, zitierte er und reichte die Dose an Hallam Russell weiter. »Ich danke Ihnen, Hallam«, sagte er. »Für alles.«
Kate fühlte sich versucht, zu fragen, wo Carey die Dose entdeckt hatte, aber im Grunde wusste sie es bereits: auf der Vitrine in Yvonnes Flur am Abend des Mordes. Ob sie zu diesem Zeitpunkt schon tot in der Wohnung gelegen hatte, als er die Dose einsteckte und einfach wieder davonging? Es würde zu ihm passen.
»Nun mach nicht so ein finsteres Gesicht. Und trink endlich deinen Tee aus«, raunte Liam ihr ins Ohr. »Kate und ich müssen jetzt gehen«, sagte er anschließend laut zum Rektor. »Es war sehr freundlich von Ihnen, uns einzuladen.«
»Freundlich!«, explodierte Kate, kaum dass sie vor der Tür waren. »Das hat doch nichts mit Freundlichkeit zu tun! Denen geht es doch nur um einen schnellen Vorteil und ihre eigenen Interessen! Und ich dachte, du wärst auf unserer Seite.«
»Ich weiß nicht recht, wen du mit ›uns‹ meinst. Aber ich gehöre jetzt dazu. Ich bin ein Teil des Systems, wie du es ausdrücken würdest. Und ich muss es sein, wenn ich es irgendwo auf dieser Welt zu etwas bringen möchte. Ich muss mich den Konventionen meines Berufs fügen, verstehst du? Ich will in meine Welt gehören dürfen.«
»Vermutlich war ich ein bisschen intolerant, oder?«
»Manchmal bringt es mehr, die Stadt Oxford die Dinge auf ihre eigene Weise regeln zu lassen. Als Einzelkämpfer kannst du sowieso nichts daran ändern.«
»Ich werde versuchen, mich daran zu gewöhnen. Ach, eine Frage noch, Liam: Wie heißt eigentlich dein Rektor?«
»Bill Stanton. Warum?«
»Nur so.«
Sie hatten das Leicester College auf der anderen Seite verlassen, standen auf der Broad Street und blickten über die Steinköpfe römischer Kaiser zum Clarendon Building hinüber. Ein Kamerateam filmte gerade einen Schauspieler, der aus dem Torbogen trat und die Treppe hinunterging.
» Inspektor Morse «, sagte Kate. »Manchmal denke ich, wir leben in einem Film, und das, was vor den Kameras passiert, ist genauso real wie unser restliches Leben.«
»Ich muss zurück, Kate.«
»Das muss man immer irgendwann.«
»Ich wollte dir nur noch sagen, dass das Trimester am Vierzehnten zu Ende ist. In den nächsten Wochen habe ich eine ganze Menge mehr Freizeit. Wie ist das nun mit dem Konzert?«
Als Kate ihre Wohnungstür aufschloss, ertappte sie sich dabei, fröhlich vor sich hinzusingen. Das Telefon, das genau im gleichen Augenblick zu klingeln anfing, irritierte sie, denn die Tonlage war eine ganz andere. Vielleicht könnte sie sich ja sogar daran gewöhnen, Janá č ek zu mögen.
Penny war am Apparat.
»Kate, ich muss dir unbedingt etwas erzählen. Du rätst nie, was passiert ist.«
»Na, dann hilf mir auf die Sprünge.«
»Theo und Rose sind wieder zusammen.«
»Die blöde Kuh. Warum das denn?«
»Die Beziehung von Lynda und Theo hat den Ärger mit der Polizei nicht ausgehalten, fürchte ich.«
»Und ohne Frau war Theo nicht lebensfähig?«
»Zumindest löst das Roses Dosenproblem. Wahrscheinlich würde sie sonst heute noch darauf warten, dass die Polizei bei ihr aufkreuzt und unangenehme Fragen stellt.«
»Immerhin wäre interessant zu erfahren, wie sie ihm die Anwesenheit der Dosen-Sammlung in der Rosamund Road erklärt hat. Ganz zu schweigen vom Verlust der Oxford-Dose …«
Fünf Minuten später klingelte der Apparat schon wieder.
»Kate? Hier ist Andrew. Hör mal, könnte ich vielleicht heute Abend bei dir vorbeikommen? Wir haben ein kleines Problem in einer der Bibliotheken, und ich würde gern mit dir darüber reden, ob du uns vielleicht helfen könntest, es zu lösen.«
»Was denn für ein Problem?«
»Ach, ein bisschen Ärger. Kriminelle Aktivität, wenn du so willst.«
»Nein, Andrew.«
»Wo bleibt deine Unternehmungslust?«
»Sie ist verschwunden, Andrew. Einfach weg. Ich bin da unten im Postle beinah umgebracht worden, und das war ein ganz ekelhaftes Gefühl. Ich hatte nur noch grässliche Angst, und wenn Judas seine Falle nicht gestellt hätte, würde ich heute nicht mehr unter den Lebenden weilen. Ich denke, ich bin einfach nicht
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