Mord in Tarsis
allen Ebenen von Verrat umgeben«, seufzte der Fürst. »Aber das ist das traurige Los des Herrschers.«
»Wie lautet also Eure Entscheidung, mein Herr?« fragte Nistur, der an den Federn seines breiten Hutes herumzupfte. »Wir brauchen unsere Befehle.«
»Also gut. Ihr könnt eure Untersuchung fortsetzen. Ich stelle Geheimrat Melkar unter Hausarrest. Wenn ihr bis zum Ablauf von Kyagas Ultimatum keinen besseren Verdächtigen auftreibt, werde ich ihn dem Barbaren ausliefern. Ihr könnt jetzt gehen.«
Unter Verbeugungen verließen sie das Gemach des Fürsten und gingen nach draußen. »Was ist das für ein Herrscher, der einen seiner fähigsten Vasallen einem Feind ausliefert, ganz egal, wie viele Barbaren er ermordet haben mag?« fragte Eisenholz.
»Einer, der sowohl gewieft als auch verunsichert ist«, antwortete Nistur, der seinen Hut wieder aufsetzte, um seinen kahlen Schädel vor dem Schneefall zu schützen. »Ein Regent mißtraut stets seinen stärksten und schlauesten Untergebenen. Im Inneren Rat wären das die Herren Rukh und Melkar. Der Fürst hätte Rukh vorgezogen, aber auch dies kann ein sehr bequemer Weg sein, einen potentiellen Rivalen loszuwerden.«
»Obwohl der Mann ihm nie etwas Böses getan hat?« fragte Eisenholz erschüttert.
»Ich fürchte, ja. Wenn Melkar so ehrenhaft wie tapfer ist, könnte er unter den Mitgliedern des Großen Rats eine treue Anhängerschaft haben, und diese Anhänger wollen ihren Helden vielleicht zum Fürsten von Tarsis gekrönt sehen. Manch guter General hat für Popularität und Ruhm schon mit seinem Kopf bezahlt.«
»Ich habe diesen verdammten Ort satt!« rief Eisenholz. »Ich will hier weg. In jeder Ecke lauert Verrat, und wenn einer nicht lächelt, dann nur, weil er nicht zeigen will, daß er nicht Zähne, sondern Fänge hat!«
»He, das ist eine ausgezeichnete dichterische Metapher«, sagte Nistur erstaunt. »Ich hätte dich nicht für so begabt gehalten. Du solltest – « Er brach ab, als er jemanden durch das Schneetreiben auf sie zurennen sah. »Ist das nicht Muschelring? Und es sieht nicht so aus, als brächte sie gute Neuigkeiten.«
»Nistur! Eisenholz!« japste das Mädchen, als sie schlitternd vor ihnen zum Stehen kam. »Sie haben Stunbog ins Gefängnis geworfen! Und sie haben auch Myrsa und ihren Bruder mitgenommen! Kommt schnell, wir müssen sie rausholen!« Sie versuchte die beiden zum Gericht zu ziehen, und ihr verzweifeltes Drängen war so groß, daß es ihr tatsächlich gelang, sie zu ein paar Schritten zu bewegen.
»Einen Moment«, sagte Nistur und machte sich los. »Bevor wir etwas unternehmen, müssen wir wissen, was passiert ist.«
»Richtig«, sagte Eisenholz. »Nur keine Panik. Wir wissen aus Erfahrung, daß man im Gefängnis eines reichlich hat, nämlich Zeit. Erzähl uns, was geschehen ist.«
»Es war Sonnenaufgang. Stunbog saß noch über seinem Buch, Myrsa und ihr Bruder sprachen immer noch miteinander, und ich war gerade eingenickt, als man unten an die Tür schlug. Myrsa ging hin und machte auf, wie sie es immer tut, und wir hörten lautes Geschrei. Dann eilte Badar mit gezücktem Schwert die Treppe hinunter, und gleich darauf wimmelte es nur so von Wachen und Söldnern, und Wachtmeister Weit stolzierte herum und befahl ihnen, alle in Ketten zu legen. Er hätte auch mich festgenommen, aber dieses Siegel hat doch noch seine guten Seiten.« Sie keuchte, denn sie hatte alles in einem einzigen Atemzug hervorgesprudelt.
Eisenholz unterdrückte einen Fluch. »Das ist die Säuberungsaktion des Fürsten! Ich hätte es wissen müssen!«
»Wie lautet die Anklage?« fragte Nistur.
»Umgang mit dem Feind, sagte Weit, denn Stunbog ist Ausländer und Myrsa eine Barbarin, und sie haben sich mit einem Mann aus Kyagas Armee getroffen. Ich habe versucht, es ihnen zu erklären, aber sie wollten nicht zuhören!«
»Das war vorherzusehen«, seufzte Nistur. »Oh, also gut, mal sehen, ob wir etwas ausrichten können.«
Nach einigen Minuten kamen sie an die kleine Plaza vor dem Gericht, wo zahlreiche Wachen versammelt waren und ein provisorischer Korral aufgestellt worden war, um die Menge der armen Teufel festzuhalten, die ins Netz des Fürsten geraten waren. Die meisten von ihnen waren verwirrte Fremde, ein paar waren Bürger, aber aus dem Gaunermilieu, andere wirkten verrückt, aber harmlos. Die festnehmenden Offiziere machten offenbar wenig Unterschied. Die drei zeigten ihre Siegel nach allen Seiten, als sie sich zum Eingang durchkämpften.
»Nein,
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