Mord in Tarsis
ich kann Euch nicht einlassen!« rief die Wache, die an der Tür Dienst tat. »Die Befehle des Fürsten sind eindeutig. Solange wir die Gefangenen verhören, darf es keinen Zugang und keine Besucher geben.«
Eisenholz hielt dem Mann sein Siegel vor die Nase. »Hier ist das Siegel des Fürsten, das uns überall Zutritt gewährt!«
Der Mann schüttelte den Kopf und verstreute dabei den Schnee von seinem Hut. »Diesmal nicht! Bei dieser Operation sind auf Befehl des Fürsten von Tarsis keinerlei Einmischungen zu dulden. Die Befehle des Fürsten werden von Geheimrat Rukh ausgeführt, der vorläufig für das Gericht zuständig ist.«
»Nichts ist so groß wie die Macht eines kleinen Beamten«, murmelte Nistur, als sie fortgingen.
»Und ein Appell an Geheimrat Rukh wird uns auch nicht helfen«, fügte Eisenholz hinzu. »Er haßt unsere Autorität ohnehin. Er wäre nur zu glücklich, uns in Ketten zu legen.«
»Ich habe die Menge abgesucht«, sagte Muschelring. »Unsere Freunde sind nicht hier. Sie müssen bereits in den Zellen stecken.«
»Tja, da können wir jetzt nichts dran ändern«, sagte Nistur. »In ein paar Tagen sind wir vielleicht in der Lage, sie rauszuholen.«
»Oder Kyaga hat bis dahin die Stadt zerstört«, meinte Eisenholz. »In diesem Fall wäre es ohnehin egal.«
»Ihr zwei gebt zu schnell auf«, sagte Muschelring verächtlich. »Los, gebt mir etwas Geld.«
Befremdet reichte Nistur ihr ein paar Münzen. Muschelring lief zu einer der Wachen, die die Menge der Festgenommenen überblickte, und flüsterte dem Mann etwas ins Ohr, während sie ihm Geld in seine Börse schob. Kurz darauf verließ der Mann seinen Platz in der Postenkette und verschwand im Gericht. Nach kurzem Warten tauchte er aus dem Gebäude wieder auf und sagte etwas zu Muschelring. Sie nickte und kehrte zu den anderen beiden zurück. Ihr Gesicht war ungewöhnlich ernst.
»Was hast du herausbekommen?« fragte Nistur.
»Sie sind auf der untersten Ebene, aber nur, weil sie unter den ersten waren, die hergebracht wurden. Die Reinigungsaktion ging im alten Hafen los. Die Zellen da unten sind klein und haben ungefähr die Form von Bienenstöcken: rund, mit Decken, die kegelförmig nach oben gehen und in der Mitte eine runde Klappe haben. Die Gefangenen werden auf einer Leiter hinuntergeschickt, und dann wird die Leiter hochgezogen. Auf diese Weise braucht man weder Tür noch Schloß.«
»Das klingt übel«, sagte Nistur kopfschüttelnd.
»Das ist es allerdings«, bestätigte sie. »Es ist kalt, eng und dunkel. Aber ich denke, dadurch haben wir eine Möglichkeit, sie rauszuholen.«
»Für mich klingt das aber ganz und gar nicht so«, meinte Nistur.
»Richtig«, sagte Eisenholz. »Wenn sie so weit unten sind, werden sie erst wieder rauskommen, wenn der Fürst sie begnadigt oder Kyaga die Stadt einnimmt.«
»Ich hätte nie gedacht, daß ihr zwei so schnell aufgebt«, sagte sie.
»Vielleicht fehlen uns deine Verbindungen«, entgegnete Nistur. »Wie lautet dein Plan?«
»Könnt ihr zwei zur Abwechslung mal mir folgen?« fragte sie.
»Ich würde den alten Mann gern da rausholen«, sagte Eisenholz, »aber wir haben verdammt wenig Zeit, um unseren Mörder zu finden.«
»Und habt ihr eine heiße Spur?« fragte sie sarkastisch.
»Ich gebe zu, daß wir keine haben«, räumte Nistur ein.
»Nun, als sie Stunbog wegzerrten, sagte er, ich sollte euch suchen und euch sagen, daß er herausgefunden hat, was dieses Siegel bedeutet.«
»Tun wir, was sie sagt«, rief Eisenholz. »Auf eigene Faust kommen wir sowieso nicht weiter.«
»Na schön«, stimmte Nistur zu, nahm seinen Hut ab und klopfte den Schnee von der Krempe. »Wohin gehen wir?«
Sie holte tief Luft. »Ich werde euch einen Teil meiner Stadt zeigen, die Orte, von denen nicht einmal der Fürst mit all seinen Spionen weiß.«
Der Fürst von Tarsis war viel zu sehr mit der veränderten Situation beschäftigt, um zu überlegen, was seine Ermittler im Sinn haben mochten. Der Hauptmann des Osttors hatte dem Palast eine Nachricht geschickt: Kyaga Starkbogen war vor dem Tor und verlangte, sofort den Fürsten zu sehen.
Fluchend und unter Austeilung von Tritten und Schlägen, die seine Diener aufmuntern sollten, ließ sich der Fürst seine beste Zeremonienrüstung anlegen, einen Anzug aus geschickt verknüpften Platten, die prächtig mit Gold und Silber überzogen und am Rand mit Juwelen besetzt waren. Seltene Federn schmückten den Helm, und ein riesiger, hermelinbesetzter Seidenmantel wurde
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