Mord in Tarsis
Kugel stützten. Zweifellos ein Familienwappen, dachte Nistur. Unter dem Bogen baumelte etwas, vielleicht eine Laterne.
»Das muß es sein«, sagte Eisenholz. »Komm.« Sie gingen zum Tor und blieben dann erstaunt darunter stehen.
»Geheimrat Melkar hat einen eigenartigen Sinn für Dekorationen«, sagte Nistur. »Wenn meine Augen mich nicht täuschen, ist das ein Gehenkter.«
Eisenholz zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ein Diener, der ihn verärgert hat. Die Aristokraten von Tarsis sind ein launisches Völkchen.«
»So einfach ist es nicht, fürchte ich«, sagte Nistur. »Wirf zum Beispiel mal einen Blick auf die Barbarenkleider.«
Voller Vorahnungen sahen sie zu, wie der kalte Wind die Leiche herumdrehte. Dann sahen sie ihr Gesicht.
»Soso«, sagte Nistur fassungslos. »Na, das ist jemand, den wir kennen.«
»Richtig«, schluckte Eisenholz. »Obwohl er im Moment nicht gerade gut aussieht.«
Der Mann, der verzerrt auf sie herunterblickte und dessen Kopf in einem unnatürlichen Winkel hing, war Guklak Pferdezähmer, Häuptling der Nomaden vom Großen Eisfluß.
10
»Jetzt haben wir ein Problem«, sagte der Fürst von Tarsis. »Es ist sehr angenehm, daß ihr den Mörder noch vor Ablauf des Ultimatums gefunden habt, das Kyaga Starkbogen gesetzt hat, aber es ist unangenehm, daß es Geheimrat Melkar sein muß. Er ist der einzige fähige Soldat in meinem Inneren Rat. Jeder andere wäre akzeptabler gewesen.« Er sah Eisenholz und Nistur so grimmig an, als ob sie ihn persönlich verraten hätten.
»Aber«, wandte Nistur ein, »Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, daß Melkar Guklak getötet hat.«
»Der Körper hing am Tor seines Hauses«, sagte der Fürst.
»Da könntet Ihr auch Abushmulum den Neunten verdächtigen, Yalmuk getötet zu haben«, sagte Eisenholz. »Schließlich wurde der Körper auf dem Sockel seiner Statue entdeckt.«
»Geheimrat Melkar befand sich bis zum dritten Gong der Nacht auf seinem Posten«, betonte Nistur. »Wir haben den Körper kurz nach dem Zeitpunkt gefunden, zu dem Melkar seinen Posten einem Untergebenen anvertraut hat. Er hatte kaum Zeit, die Tat auszuführen, selbst wenn er Lust hatte, den Mann an seinem eigenen Tor aufzuknüpfen.«
»Ich muß daran erinnern«, sagte der Fürst, »daß ein wichtiger Adliger in Tarsis nicht ohne Diener ist. In Melkars Fall umfaßt dies eine Anzahl von Soldaten unter seiner Führung und seine persönliche Garde. Diese wären mehr als bereit, jemanden wie Guklak auszuschalten und ihren Herrn zur selben Zeit mit einem makellosen Alibi auszustatten.«
»Aber warum Guklak?« fragte Eisenholz. »Und wie ist er in die Stadt gekommen?«
»Die Mauern von Tarsis sind viel zu durchlässig«, sagte der Fürst. »Zusätzlich zu den Reparaturarbeiten, die zur Stunde noch andauern, habe ich beschlossen, außergewöhnliche Maßnahmen zur Verbesserung unserer Sicherheit zu ergreifen. Als ich von dem letzten Mord erfuhr, habe ich den Befehl gegeben, alle Unzufriedenen, subversiven Elemente und verdächtige Ausländer aufzuspüren. Sie werden zur Zeit verhaftet und eingekerkert.«
»Ich zweifle stark daran, daß diese Maßnahmen die Sicherheit nennenswert verbessern werden«, sagte Nistur, »und sie werden auch den unvermeidlichen Zorn von Kyaga Starkbogen kaum besänftigen.«
»Dennoch muß alle Welt sehen, daß der Fürst von Tarsis massive Maßnahmen ergreift. Das wird die Bürger vom Ernst der Lage überzeugen. In der Politik ist der Anschein so wichtig wie die Realität.«
»Verstehe«, erwiderte Nistur zweifelnd.
»Weiß Kyaga bereits von Guklak Pferdezähmer?« fragte Eisenholz.
Der Fürst verzog das Gesicht. »Ich denke, das werde ich jeden Moment erfahren. Diesmal gab es keine Traube von Nichtsnutzen, die die Geschichte weitertragen konnten, aber der Mann scheint unzählige Informationsquellen innerhalb der Mauern zu haben. Ich bezweifle, daß mein Rundumschlag sie alle erwischt.«
»Eure eigenen Söldner sind die wahrscheinlichste Quelle«, erklärte ihm Nistur. »Ich muß meinen Freund hier um Entschuldigung bitten, aber nicht alle seine Berufsgenossen teilen seine hehren Prinzipien und seinen unerschütterlichen Sinn für Ehre.«
»Da kann ich nicht widersprechen«, räumte Eisenholz ein. »Einige der Soldaten, die Ihr eingestellt habt, sind übelster Abschaum: Wenn man ihnen auch nur eine krumme Kupfermünze dafür gibt, dem Lager draußen wichtige Informationen zu liefern, würden sie diese nur allzu eifrig weitergeben.«
»Ich bin auf
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