Mord in Thingvellir
diese Widerlinge glatt umbringen!«
»Jetzt mach mal keine Dummheiten …«
»Meinst du etwa, dass ich diesem Abschaum erlaube, meine Tochter so zu behandeln?«, fällt er mir heftig ins Wort.
»… keine Dummheiten, hast du gehört?«
Allmählich gelingt es mir, Andrés zu beruhigen.
Aber erst, als ich versprochen habe, selbst in den Norden zu fahren, um mit Fjóla in der Entzugsklinik zu sprechen. Um mit eigenen Ohren zu hören, was sie zu berichten hat. Und um einschätzen zu können, ob es auf dieser Grundlage möglich ist, die Perversen anzuklagen, die sie missbraucht haben.
5
Dienstag, 17. August
Die Entzugsklinik ist auf einem seit dem Mittelalter berühmten Hof im Nordland untergebracht.
Das Gut liegt im Inneren eines langen, breiten Tals weitab von der Ringstraße. Dort, wo die höchsten Bäume heckenhohe Birkenbüsche sind.
Weiter landeinwärts sieht man schneeweiße Gletscher und himmelblaue Berggipfel.
Ich habe die Gletscher immer als das Spiegelbild der Gesellschaft betrachtet. Aus der Ferne sehen sie wunderbar weiß aus, aber wenn man näher kommt, erkennt man, dass sie voller Dreck sind.
Soffía ist die Leiterin der Entzugsklinik.
Sie ist hager, mit wettergegerbter Haut. Und sehr konzentriert in ihrer Art. Als ob sie nie daran zweifeln würde, dass sie das Richtige tut. Und alles am besten wüsste.
Ihre Augen strahlen vor wissender Überzeugung.
Soffía weist mich in ihr kleines Büro in dem weiß gestrichenen Haus, das umgebaut wurde, damit es wohngruppentauglich ist. Das Fenster gibt den Blick auf eine grüne Wiese frei.
»Wir treiben hier ökologische Landwirtschaft und haben Schafe und Pferde«, sagt sie. »Unsere Klienten nehmen tatkräftig an allen anfallenden Arbeiten teil. Es ist ein notwendiger Aspekt der Rehabilitation, etwas Nützliches zu tun zu haben. Tatsächlich arbeiten manche zum ersten Mal in ihrem Leben mit den Händen.«
Soffía ist von meinem Besuch nicht begeistert. Und lehnt es kategorisch ab, mir ein Gespräch mit Fjóla zu erlauben. Mit der Begründung, dass ein solches Verhör meinerseits einen sehr störenden Einfluss auf ihre Therapie haben könnte, die gerade erst angefangen hat.
»Fjóla hat nur die ersten kleinen Schritte getan auf einem langen und schwierigen Weg aus der Hölle der Drogen. Sie ist immer noch zerbrechlich wie eine Eierschale.«
»Welche Möglichkeiten gäbe es denn?«
»Wir haben ein gemütliches Zimmer, wo man Gespräche auf Video aufzeichnen kann«, antwortet sie und schaltet einen alten Fernseher ein, der auf ihrem Schreibtisch neben dem Computer steht. »Ich habe bereits ein paar Gespräche mit Fjóla aufgenommen. Auf dieser Kassette sind die Kopien von den Gesprächsabschnitten, an denen Andrés und du am meisten Interesse habt, soweit ich verstanden habe.«
Soffía drückt die Play-Taste des Videogeräts.
Ich lehne mich im Stuhl zurück. Bin ungeduldig, bis Fjóla auf dem Bildschirm erscheint.
Andrés’ Tochter hat ihr langes blondes Haar geopfert, das auf dem Foto, das Andrés mir gegeben hatte, noch weit den Rücken hinunterreicht. Bevor wir sie aus der Drogenabsteige geholt haben.
Ihr Kopf ist kahl rasiert. Wie bei einem verstrahlten Krebspatienten.
Ihre Haut ist frei von den künstlichen Stoffen der Kosmetikmogule. Sogar ihre Lippen sind ungeschminkt. Kindlich.
Aber die Vergangenheit sitzt fest in den hellblauen Augen verankert, die für einen Moment in die Linse der Kamera schauen. Es braucht schon mehr als einen feuchten Lappen, um sich die Vergangenheit aus dem Gesicht zu wischen.
Fjóla sitzt im Schneidersitz in einem gemütlichen Sessel mit grünem Bezug. Sie trägt Jeans, weiße Socken und einen weiten, hellbraunen Pullover.
Soffía hat sich in das Sofa gegenüber gesetzt. Irgendwo hinter ihrem Rücken befindet sich die Kamera, die das Gespräch auf dem schwarzen Magnetband aufzeichnet.
Zuerst unterhalten sie sich über Fjólas Drogenkarriere. Seit sie die erste Ecstasy-Pille von ihren Schulkameraden bekam, bis sie sich täglich sämtliche Drogen einwarf, die sie ergattern konnte.
Sie war Morpheus in null Komma nix verfallen. Und aus einem dreizehnjährigen Schulmädchen wurde in kürzester Zeit ein hartgesottener Junkie. Nach einigen Monaten war sie bereit, alles für ihr tägliches chemisches Lebenselixier zu tun. Ihr war völlig egal, ob es Ecstasy oder Amphetamine waren, Kokain oder Medi-Dope. Solange es den Zweck erfüllte, in das Traumland zu gelangen, wo es möglich war, die Wirklichkeit
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